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Nach(t)kritik

Mi, 18.04.2018
20.00 Uhr

Beethoven und der Bebop

Veranstaltung: Quatuor Ebène: Mozart, Beethoven
Beethoven als Vater des Bebops zu betiteln, wird eingefleischte Jazz-Fans sicher entrüsten. Aber welche Musikgattung von heute wurzelt denn nicht in der Ernsten Musik? Vor allem in der Beethovens. Letztendlich war schon vor Jahrhunderten das Material dafür vorgebildet. Das Fugenthema des Schlusssatzes im Streichquartett op. 59/3 von Beethoven als einen Bebop zu betrachten, um die Miles-Davis-Zugabe zu rechtfertigen, war zwar nicht nötig, aber auch nicht an den Haaren herbeigezogen. Zumindest nicht nach der Interpretation des Werkes vom Quatuor Ebène. Denn die Kraft und vorantreibende Energie des Bebops fand sich in diesem Finale uneingeschränkt wirksam. Zumal die Bratsche nun wieder stimmig besetzt ist und mit dem Instrument von Mathieu Herzog auch das einstige, farbenreiche Klangbild zurückgewann.
Die ungemein agile und selbst mimisch ausdrucksstarke Bratschistin Marie Chilemme scheint einen frischen Wind ins Ensemble gebracht zu haben. Jedenfalls ist die ursprüngliche Musizierlust wieder unverbraucht und tatenfreudig zu spüren. Bisweilen musikalisch mit einem Hüftschwung zu kokettieren oder gar mit frechen Blicken zu flirten, bringt schon besondere Qualitäten ins Spiel, auch wenn Pierre Colombet (Violine), Gabriel le Magadure (Violine) und Raphaël Merlin (Violoncello) recht zurückhaltend darauf reagierten. Aber es ging hier schließlich um ein gewichtiges Kapitel der Musikgeschichte: die Königwerdung des Streichquartetts.
Dass diese Gattung zur Königsdisziplin der Kammermusik avancieren konnte, lag zweifelsohne an der Höhe der Messlatte nach Haydn. Selten musste Mozart mit einer musikalischen Gattung so ringen, wie mit dem Streichquartett, um schließlich sogar Haydn selbst von seiner Meisterschaft darin zu überzeugen. KV 421, das einzige in Moll unter den sechs ersten Streichquartetten, ist schon eine Herausforderung, was das homogene Zusammenspiel im Ensemble betrifft. Aber gerade dies ist die Stärke des Quatuor Ebène, mit höchster Sicherheit den Klang gezielt zu treffen, der im Kontext schlüssig im Werk nahtlos aufgeht. Selbst das extrem zerklüftete Andante fügte sich zu einer überzeugenden Ausdrucksgestalt, die den Unterbrechungen expressive Aussagekraft zugestand. Die volkstümliche Frische, die sich im Siciliano-Thema des Variationssatzes in vergnügter Tanzlaune fortsetzte, stellte das galant-rokokohafte Werk trotz Molltonart in ein freundliches Licht, auch wenn die dramatischen Verdichtungen ihre energiegeladene Wirkung beibehielten.
Die Treffsicherheit im Zugriff beleuchtete aber vor allem die Entwicklung Beethovens adäquat. In seinem Streichquartett op. 18/2 die Vorbildtreue im galanten Grundtenor verständlich zu machen und daraus den ungestümen Beethoven mit seiner eigenen Vorstellung von der Weiterentwicklung der Gattung aufblitzen zu lassen, rief eine enorme Spannung im Ensemble auf den Plan. Keine Frage: Das Quatuor Ebène brennt für die „Revolution“ (Merlin) des Komponisten, der da selbst den Mut besaß, in ein Adagio cantabile eine hastende Allegro-Passage einzupflanzen oder im Schlusssatz ein virtuoses Violinsolo als Überleitung zu nutzen.
Und dann der Wechsel ans Ende der mittleren Periode im Werk Beethovens, wo er den neuen Weg für die späten, ureigenen Streichquartette vorgebildet hatte. Die Einleitung zum Kopfsatz des op. 59 ist wie ein großes Versprechen, das die vier Franzosen mit beseelter Höchstkonzentration ins Extreme wachsen ließen. Doch ganz klar überzeugt davon, dieses Versprechen mehr als nur einzulösen. Von der geballten Energie profitierte schon das kapriziös-elegante Kopfsatzthema, ja selbst die elegische russische Volksmelodie des Andantes. Das freundlichere Menuetto mit dem fanfarenartigen Trio kündete schon davon, was folgen sollte: Ein mitreißendes Perpetuum mobile, dem sich das Publikum nachhaltig nicht entziehen konnte.
Reinhard Palmer, 19.04.2018


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 18.04.2018 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.