Direkt zum Inhalt

Nach(t)kritik

Mi, 17.02.2016
20.00 Uhr

Die zweite Maus bekommt den Käse

Veranstaltung: Vince Ebert: Evolution

Die Skepsis ist der Motor der Wissenschaft, ohne sie gäbe es keine Relativitätstheorie und keine Hauptsätze der Thermodynamik. Es ist dieses „Kann das wirklich sein?“, was uns antreibt, den Dingen auf den Grund zu gehen - uns als Publikum und den Mann oben auf der Bühne, Vince Ebert. Zum zweiten Mal war er mit seinem Programm „Evolution“ im bosco, und da ist man zu Beginn noch skeptisch, ob dieser kabarettistische Schnelldurchlauf der Menschheitsgeschichte zweimal trägt. Doch die empirischen Werte belegen: das Programm ist nur noch besser geworden (und da ist die Autorin dieser Zeilen kein Opfer des Überlebenskriterium Anpassung).

Vince Ebert ist nach eigener Aussage „neben Angela Merkel und Oskar Lafontaine der dritte Physiker, der sein Geld mit Kabarett verdient“. Vermutlich würden die beiden Kollegen jeder Aussage Ebert zustimmen (auch hier ist Skepsis angebracht, schließlich gibt es nicht selten bei drei Wissenschaftlern vier verschiedene Meinungen). Doch die Evolution ist nur eine Theorie, ein Erklärungsmodell für die menschheitsalte Frage nach dem Woher. Und jede Theorie darf nur solange gelten, bis jemand den Gegenbeweis antritt. Andererseits: „Die Gravitation ist auch eine Theorie, und trotzdem springt keiner vom Dach, weil es doch bloß eine Theorie ist.“ Skepsis kann mitunter auch lebensrettend sein.

Vor allem aber schafft sie eine gesunde Distanz, so wie es der Humor auch tut. Und letzterer leitet diesen Physiker bei seinem Blick zurück auf die Anfänge menschlichen Seins. Bis zum Urknall geht Ebert zurück, um gleich hier schon mal festzustellen, dass man sich diesen nicht als Ton, schon gar nicht als gigantischen Schall vom Ausmaß einer Explosion vorstellen sollte - „Knallen kann es nur, wenn Materie gegen Materie stößt“. Die war in diesem Fall aber noch gar nicht vorhanden. Was dann nach diesem geräuschlosen Urknall geschah, vollzog sich noch wesentlich rasanter als Vince Eberts Sprint durch die Evolutionsgeschichte: in gerade mal drei Minuten entstand all das, was für die Entstehung der Erde und damit des menschlichen Lebens nötig war. Von den ersten Vorfahren des Menschen an bis zum heutigen - im Saal vertretenen - Exemplar zieht sich seitdem eine Linie durch, die im Wesentlichen bestimmt ist von Faktoren wie der Angst vor dem Tod oder dem Wunsch nach Unvergänglichkeit, etwas Bleibendem. 

Bleiben wird von diesem Abend der Eindruck, mal etwas anderes erlebt zu haben als das übliche Kabarettprogramm. Im Grunde war es Wissenschaft, was Vince Ebert da präsentierte, mit jenen zeitgemäßen Mitteln, wie sie längst Einzug gehalten haben in diesem früher einmal von Tageslichtschreibern und Zeigestäben bestimmten Metier. Mittel wie der übergroße Bildschirm, der auf Berührung reagierte und mal Bilder, mal kleine Filme, mal auch ad hoc entstehende Zeichnungen offenbarte. Doch selten erlebt man bei einem wissenschaftlichen Vortrag Satire oder gar „endotherme Witze“, auf die eine Reaktion erst im zweiten Schritt, beim zweiten Nachdenken erfolgt - wie bei der Geschichte von der Spitzmaus, die nach dem Kometeneinschlag im Gegensatz zum Dinosaurier überlebte („Der frühe Vogel fängt vielleicht den Wurm, aber die zweite Maus kriegt den Käse“). Und ebenso selten erlebt man beim Kabarett so viel Präzision, so klare Beweisfolgen und ebenso folgerichtig wie überraschend auf die Pointe zusteuernde Monologe (von seltenen Allgemeinplätzen wie den Musikantenstadl-Analogien einmal abgesehen).

Was auf die Dauer ein bisschen ermüdet, ist die Sprachmelodie dieses Kabarettphysikers: er baut seine Sätze von der Diktion her so auf, dass sie das letzte und vorletzte Wort immer wie eine hervorgezauberte Überraschung präsentieren. Das wirkt auf die Dauer ermüdend, da immer gleich klingend. Auch das beste Lied ist nach der zwanzigsten Strophe einmal ausgereizt. Und in diesem Fall ist es oft schade um die tatsächlichen Überraschungen, die im allgemeinen Singsang schon mal untergehen. Doch im zweiten Teil lässt dieser Eindruck allmählich nach, und der hochpoetische Schluss, in dem es um den Tod geht und um die zehn hoch achtundzwanzig Atome, die seit den ersten drei Minuten des Universums in uns und in allem immer fortbestehen, dieser wunderbare Schluss darf wie eine Zäsur ganz für sich stehen. Da unterliegt dann auch alle Skepsis: ja, so kann das sein. Wirklich.

Sabine Zaplin, 17.02.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 17.02.2016 | © Werner Gruban