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Nach(t)kritik

Fr, 16.09.2016
20.00 Uhr

Gefährdeter Weggefährte

Veranstaltung: Florian Ostertag & Nasim: Spielzeiteröffnung
Die beiden hatten den sympathischen Titel „Weggefährten“ für ihren gemeinsamen Auftritt zur Spielzeiteröffnung im bosco gewählt – klingt ja irgendwie auch besser als „Hybridkonzert“: Florian Ostertag aus Nürtingen und Nasim Kholti aus einem kleinen Dorf bei Stuttgart mussten sich wohl zwangsläufig über den Weg laufen, denn den gelernten Elektrotechniker Ostertag und den sozialpädagogischen Familienbegleiter Kholti verbindet etwas, das im durchökonomisierten Zeitalter selten geworden ist und auf einer Bühne heutzutage geradezu exotisch anmutet – innere Werte, eine bestimmte Grundhaltung, die lieber der eigenen Seele nachspürt als äußerlichen Reizen. Florian und Nasim, beide etwa Mitte 30, bringen diese Werte musikalisch auf wohltuend schlichte Art zum Ausdruck und umschreiben das mit dem „Singer-Songwriter“-Begriff, der sich vom Liedermacher alter Prägung angeblich durch Weglassen politischer Inhalte unterscheidet. Ostertag fügt noch selbstironisch hinzu, dass man durchaus selbstmitleidig um sich selbst kreise – wie es halt die Barden schon immer besonders schön konnten. Akustikgitarren, den gelegentlichen Einsatz einer Mandoline, eines Akkordeons oder eines E-Pianos und zwei wohlklingende Stimmen haben die beiden an diesem Spielzeiteröffnungsabend zu bieten. Florian singt durchweg auf Englisch, Nasim - schwäbisch sozialisierter Sohn einer Badenserin und eines Marokkaners, auf Deutsch; man begleitet einander bei den selbstgeschriebenen Liedern oder überlässt im Wechsel dem Anderen die Bühne für ein Solo. „Wir haben eine Tour durch Bars, Cafés, kleine Clubs und Gärten gemacht“, berichtet Ostertag. Es klingt durch, dass diese „Garten-Tour“ voller intimer Konzerte gewesen sein dürfte, manchmal auch wohl nur vor einer Hamdvoll Leuten, die die zwei Künstler am Ende des Abends alle persönlich beim Namen kannten, wie einmal in Salzburg. Sie sprechen zweifellos Menschen an, die auch bei leiseren Tönen zuhören und bei einem Konzert nicht unbedingt das Spektakel suchen, sondern etwas Erbauliches: „The Constant Search“ (Die unablässige Suche) lautet nicht zufällig der Titel des 2009 erschienenen ersten Albums von Florian Ostertag – ein Titel, der offenbar bis heute für den Nürtinger gilt. Seine Lieder verlassen nur selten den melancholischen Grundton, aber weinerlich sind sie nicht, eher schon ernüchtert. Songs für einsame Nachtfahrten vielleicht, auf denen man über die „großen“ Dinge oder den eigenen Lebenssinn nachdenkt und sich beim Lauschen wohlige Bestätigung für seinen Weltschmerz abholt. Englisch ist da für Deutsche die bessere Sprache, denn sie bringt ein gutes Stück Interpretaionsspielraum mit, eine Prise Ungefähres – Nasim riskiert es trotzdem mit der buchstäblichen, wemiger missverständlichen Muttersprache, die in Gefühlsdingen doch immer recht nahe am Wasser gebaut ist. Man mag das in nüchternen Zeiten anachronistisch finden, doch stimmig ist es allemal. Nasim setzt stärker auf die Eindeutigkeit der Texte als Florian, der dafür Stimmungen zu erzeugen vermag, eine Atmosphäre des dauernden, ironisch nur leicht gebrochenen Zweifelns und eben noch keine Ergebnis-Abgeklärtheit.
Am Ende dieses handgemachten und mit viel Applaus bedachten Doppelkonzerts liefern die beiden noch eine kleine Pointe auf jene typischen Sachzwänge des Lebens, die nur wenige echte Barden auf der Bühne überleben lassen: „Matze“, der Mandolinen-Spieler, wird per Aufzeichnung auf VHS-Rekorder als dritter Mann zugespielt – er hat nämlich Familie inzwischen, muss richtig Geld verdienen und kann deshalb nicht mehr so viel weg von Zuhause. Ein gefährdeter Weggefährte, der vielleicht für immer auf der Strecke bleiben wird. Das wärmende Feuer, es brennt dennoch weiter. Thomas Lochte


 
Thomas Lochte, 17.09.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Fr, 16.09.2016 | © Werner Gruban