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Nach(t)kritik

Mi, 29.04.2015
20.00 Uhr

Levantino: Milchmann Tevje trifft Jacques Brel

Veranstaltung: Levantino: Chapter One
"Mir selbst wird es auf Konzerten immer zu lang", bekennt Michl Bloching und erklärt den Leuten auf diese lausbübische Weise, warum jetzt gleich Schluss ist, nach ungefähr 14 Liedern. Das Publikum aber ist gar nicht mal böse, denn es muss dem jungen Mann einfach Recht geben: Qualität kommt in der Musik immer noch vor Quantität, und da haben die Drei von "Levantino" gerade eben wirklich Erlesenes geboten. Michl, der in diesem Trio außer für die Ansagen auch noch für Gesang, Akkordeon, (Bass-)Saxophon und Klarinette Zuständige, nennt die beiden Anderen seine "Brüder" - der echte, Max, zupft, streicht und schlägt den Kontrabass, der "unechte", weil blonde Tom Wörndl spielt einen E-Gitarren-Part, der zwischen Kurt Cobain und Paco De Lucia sämtliche Gangarten und Lautstärken mitbringt. Sie alle haben sich einst am Gymnasium Bad Aibling kennen-gelernt und trotz unterschiedlicher Jahrgänge dort eine Schulband gegründet. Danach muss Tom, der laut Michl "mal so´n Metal-Typ gewesen ist", erfolgreich Jazzgitarre studiert haben, während sich die beiden Blochings gleich einem halben Dutzend Instrumenten und dem Komponieren widmeten. Das Zwischenergebnis aller drei Karrieren, akustisch zu "besichtigen" im Bosco, ist nicht weniger als eine herrlich stilübergreifende, die Musikgeschichte munter ausbeutende kreative Mischung, die nicht wirklich in irgendeine Schublade passt: Aus den Ingredienzien Klezmer, Musical (Tevje, der Milchmann aus "Anatevka"), Chanson, aus jiddischem Liedgut, italienischem Fünfziger- Jahre-Schlager, deutschsprachigen Balladen und englischem Pathos setzt "Levantino" etwas ganz Eigenes zusammen, das ihnen schon viel Anerkennung bei Wettbewerben eingetragen hat. Den einzelnen Instrumenten verschafft fast jedes ihrer Stücke einen gut hörbaren, individuellen Auftritt, emotional kommt Vieles wie eine Wechseldusche daher - zartes, verhaltenes Intro, jähe Explosion und dann Rückkehr zur Besinnung, so könnte man die Muster einiger Arrangements und Eigenkompositionen umschreiben. Aus einem Napoli-Klassiker wie "Tu vuo fa l´Americano" von Renato Carosone macht "Levantino" eine hart am Punk siedelnde Nummer, die es dennoch schafft, zwischendurch inne zu halten, um sich schließlich doch wieder der Raserei hinzugeben. Ähnlich ergeht es Brels "Ne me quitte pas": Keine Zeit mehr für dessen wirklich herzzerreißende, fast schon unerträgliche Verzweiflung, dafür aber - Tempo! Es ist sehr erfrischend, wie respektlos die drei Bad Aiblinger zu Werke gehen und sich dabei doch irgendwie verbeugen vor dem, was sie vorgefunden haben. So entstehen teils völlig neue Interpretationen, die auf ihre eigene Art und Weise suggestiv sind. Dass "Levantino" sich auf Klezmer und jiddische Ausgelassenheit versteht, wird daran deutlich, dass die Jungs schon häufig auf Hochzeiten gespielt haben. Man folgt ihnen auf jeden Fall - mit dem Ohr - gerne überall hin und lässt sich überraschen. Nur Eines sollten sie vielleicht noch üben: Die Kostbarkeiten ihres Programms ein wenig mehr anzupreisen und nicht wie Nummern abzuspulen. Auch wenn´s dann ein bissl länger dauert mit den Konzerten, gell, Michl?
Thomas Lochte, 29.04.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 29.04.2015 | © Werner Gruban