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Nach(t)kritik

So, 28.02.2016
20.00 Uhr

"Man schämt sich schon der Ruhe..."

Veranstaltung: Prof. Joachim Kunstmann: Arbeit und Muße

„Ein spannendes Thema. Ich hab´s schon mal gemacht, aber da bin ich kaum zum Reden gekommen, weil pausenlos diskutiert wurde.“ Prof. Joachim Kunstmann erging es auch diesmal nicht anders im „Philosophischen Café“: Der Gesprächsgegenstand „Arbeit und Muße“ sorgte für rege Beteiligung, denn offenkundig suchten viele Café-Besucher für sich persönlich nach einer Neubewertung dieser Begriffe. Los ging´s mit einigen Zeilen von Erich Kästner, der in einem Gedicht einleitend festgestellt hatte: „Arbeit lässt sich nicht vermeiden...“, um einige Gereimtheiten später mit der Ungereimtheit zu enden: „...doch nur wer schuftet, ist ein Schuft.“ Die Konnotation von Arbeit einerseits und Muße andererseits habe sich seit der Antike fast vollständig verändert, referierte Prof. Kunstmann – was bei den alten Griechen Sklavensache war (Arbeit), für die Menschen von heute ist es das, worüber sie sich definieren, mit allen negativen Begleit- und Folgeerscheinungen: „Arbeitslosigkeit gilt in der modernen Gesellschaft als denkbar größter Makel“, so Kunstmann, Rentner seien demnach „Menschen, die ihre Arbeit verloren haben“ und mitunter depressionsgefährdet, vor allem Männer, denen das Sinnstiftende im Leben abhanden kommt. Nicht zufällig lautet der englische Ausdruck für „arbeitslos werden“ to become redundant – überflüssig werden. Dass wiederum jene, die noch Ar-beit haben, diese aber als „sinnentleert“ empfinden, von Burnout heimgesucht werden, steht da auf einem anderen Blatt. Dem „modernen“ Menschen gelinge es inzwischen sogar, „Freizeitaktivitäten abzuarbeiten“, so die besorgte Bestandsaufnahme. Friedrich Nietzsche benannte die aufkommende Geringschätzung für Muße bereits in seinemr Schrift „Muße und Müßiggang“: „Man schämt sich jetzt schon der Ruhe...Dies lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse“, beklagte sich der Philosoph über die beginnende Umwertung, die mit der Industrialisierung einher ging. Im Altertum galt noch: Wer arbeitet, der hat´s nötig, wer nicht arbeitet, der zeigt seine Souveränität; Nietzsche musste dann im Zeitalter der Aufklärung konzedieren: „Das Arbeiten bekommt alles gute Gewissen auf seine Seite.“ Blinder Effektivitätsglaube trat an die Stelle der Sinnfrage, gipfelnd in immer neuen Evaluations- und Optimierungstechniken – und der Mensch verinnerlichte diesen ökonomisierten Wertekanon immer mehr: „Arbeit wird doch immer mehr verramscht und immer weniger geachtet“, befand ein Zuhörer. Ein anderer hatte „Angst und Gier“ als Triebfedern für derlei Selbstausbeutung ausgemacht – Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, ein „Gefühl der Ersetzbarkeit“ beherrsche die Menschen. Keine Arbeit mehr zu haben, bedeute häufig Ende der sozialen Teilhabe, bis hin zu Ächtung durch die Besitzenden, ergänzte Kunstmann.
Doch mit der (womöglich unfreiwilligen) Muße vermögen wir heutzutage offenbar auch nicht so recht umzugehen: „Was deutsche Schüler unter der Woche am meisten stresst, ist die Frage: Was mache ich am Wochenende?“, hat der Professor beobachtet. Dabei wäre echte Muße eigentlich keine zu füllende Freizeitstrecke, sondern vielmehr etwas geänzlich Unprogrammatisches, wie etwa das zufällige Bestaunen eines umherklettern-den Eichhörnchens, wie ein Café-Besucher vorschlug. Die Bibel hatte derlei Gedanken-gut schon immer entgegengehalten: „Wenn das Leben gut war, dann war es Arbeit.“ Noch humorloser waren dabei die Protestanten, die in der Arbeit geradezu etwas Heiliges erblickten: „70 Prozent der heutigen Topverdiener in Deutschland sind Protestanten – wussten Sie das?“, warf der Professor ein. Ein Rezept gegen die Bewertung von Arbeit als alleinseligmachendes Element („Müßigkeit ist aller Laster Anfang“) wäre laut Prof. Kunstmann womöglich das Rückerobern einer souveränen Einstellung gegenüber der Arbeit, indem man sage: „Ich arbeite, nicht die Arbeit bestimmt mich!“ Bei den Diskutanten fiel dies auf fruchtbaren Boden: „Ein wesentlicher Aspekt ist es doch, sich in der Arbeit zu entfalten, einen Dialog mit der Arbeit herstellen zu können“, meinte eine Frau. Ein Mann assistierte: „Beruf kommt von Berufung!“ Leider werde es bereits in der Schule völlig verabsäumt, nach den individuellen Fähigkeiten und Neigungen eines jungen Menschen zu fragen – statt dessen werde er nur aufs „Funktionieren“ vorbereitet, klagten einige Pädagogen. Schon Aristoteles hatte gemahnt, dass Staat und Erziehung „Muße schaffen“ müssten, sonst entstünde „Knechtschaft“. Dass Karl Marx später postuliert hatte, der „wahre Mensch“ sei „Resultat seiner Arbeit“, ist demgegenüber eher als Rückschritt zu betrachten, doch immerhin entdeckte Marx auch die Gefahr der „Ausbeutung“ des Menschen durch den Menschen: „Er war ein kluger Soziologe, aber er hat nicht gesehen,wie Menschen gestrickt sind“, so Kunstmann.
Die soziologische Betrachtung von Arbeit, ihrem Wert und ihrem vermeintlichen „Gegen-entwurf“ des Nichtstuns, sie konnte auch nicht verhindern, dass „heute nicht Leistung, sondern Erfolg belohnt wird“, so der Professor. Das passt zu dem Befund, dass „nicht Denk-Ergebnisse, sondern Datenmengen“ gesammelt werden – und eine Art neuer homo oeconomicus entstanden ist, wie Bestsellerautor Ju Chen Han es schildert: „Leistungssubjekte, Unternehmer ihrer selbst“. Und Hans Analyse ist schonungslos, wenn er feststellt, dass von diesem selbstausbeuterischen Prinzip freiwilliger Leistungserbringung „systemische Gewalt“ ausgehen könne, welche „psychische Infarkte hervorruft“. Jeder in diesem „Zwangssystem“ trage den Zwang nämlich selbst mit sich herum. Ist Arbeit demnach inzwischen nicht nur das halbe, sondrn das ganze Leben? Ist sogar ihr Widerpart, die Muße, der „Verzweckung“ unterworfen? Die mehr als zweistündige Debatte kreiste bezeichnender Weise mehr darum, wie man – trotz mancherlei Fortschritts - „Arbeit“ rehumanisieren könne, und weniger darum, was denn „Muße“ überhaupt ist: Vielleicht sollte man ja mal das Buch „Das Recht auf Faulheit“ lesen? Aber das würde ja schon wieder Arbeit machen....
 

Thomas Lochte, 29.02.2016


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