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Nach(t)kritik

Do, 17.09.2015
20.00 Uhr

Quatuor Hermès: Historie ästhetischer Konzepte

Veranstaltung: Quatuor Hermès: Auf Anhieb Weltklasse!
Es ist manchmal schon schade, wenn die Längen der Werke nicht erlauben, das Programm chronologisch anzuordnen. Nicht dass der vitale und herzerfrischende Auftritt des Quatuor Hermès dadurch an Qualität eingebüßt hätte. Ganz und gar nicht. Das Hörvergnügen blieb zweifelsohne ungetrübt. Es wäre vielmehr ein zusätzlicher Gewinn gewesen, den Wechsel der Epochen aus der Entwicklungslogik heraus nachvollziehen zu können. Dass hier die Wiener Klassik und die Zweite Wiener Schule so unvermittelt aufeinander prallten, machte indes besonders deutlich, wie rasant und grundlegend sich die Gattung Streichquartett wandelte. Aber schließlich sprang Mozart mit seinem Streichquartett G-Dur KV 387 auf einen bereits recht schnell von Haydn gefahrenen Zug – um ihn zu übernehmen. Und die vier jungen Mitglieder des französischen Ensembles zeigten im bosco ein ausgeprägtes Gespür einerseits für die typisch schlanke Linie Mozarts, andererseits für die Ideale der Klassik, die da formal zunächst thematisch-motivische Arbeit und Gleichwertigkeit der Instrumente heißen, aber im Grunde eine besondere Balance der Proportionen sowie eine strenge Organisation tradierter Formen zugunsten einer dramaturgischen Entwicklung ist. Kein feinfühliges Changieren zwischen Lyrik und Dramatik, sondern eine klare Konfrontation im abrupten Kontrast. Dass Haydn selbst dem erst 26jährigen Mozart „größte Compositionswissenschaft“ attestierte, versprach eine weitere Beschleunigung, die Beethoven und Mendelssohn vollziehen sollten.
Die nächste Station wäre also die Romantik mit ihren emotionalen Werten, die mit den Formalismen der Klassik nicht mehr viel anfangen konnten. Es war denn auch nicht falsch, hier in Schumanns Streichquartett F-Dur op. 41/2 die Zügel zu lockern und sich schon mal der Schwärmerei oder Euphorie hinzugeben. Auch wenn in diesem Ergebnis „quartettistischer Gedanken“ (Schumann im sogenannten Haushaltsbuch) eingehende Studien von Werken Haydns, Mozarts und Beethovens deutlich belegbar sind, legte das Quatuor Hermès plausibel dar, dass dem ästhetischen Konzept eindeutig die Idee der Romantik zur formalen Vereinheitlichung hin zugrunde liegt. Die Werkentwicklung (im Ganzen und in den einzelnen Sätzen) vollzog sich denn auch unter einem großen Spannungsbogen. Vereinheitlichung bedeutet bei Schumann aber keinesfalls Einförmigkeit. Und das bewies das Ensemble nicht nur im auf die Veränderungen explizit angelegten Andante-Variationssatz, sondern vordringlich in den nachfolgenden schnellen Sätzen, die ihre Kraft vor allem aus extremen rhythmischen Wechseln schöpften, die das Ensemble so selbstverständlich und bravourös vollzog, dass man den Grund für die unterschwellige Spannung kaum ausmachen konnte.
Anders bei Anton Webern. Dem radikalen Neuerer wäre es auch nicht einmal im Traum eingefallen, etwas zu verbergen oder zu verschleiern. Seine Fünf Sätze für Streichquartett op. 5 wollen nichts anderes sein als sie sind: absolute Musik, die nicht nur die Tonalität abgelegt hat, sondern auch jegliche Thematik. Mit dem neuen Parameter der Geräusche mittels zeitgenössischer Spieltechniken erschuf Webern fünf aphoristische Plädoyers für die Befreiung von jedweden Ballast, also von allem, was über die rein inhaltliche Aussage hinausgeht. Und das Quatuor Hermès zeigte mit höchster Konzentration und Spielintensität, dass die Reduktion auf den Kern eine musikalische Bereicherung sein kann, vor allem in Sachen Intensität, Atmosphäre, Rhetorik und Erzähltechnik.
Ganz anders bei Dvořák, der bei seinem amerikanischen Quartett Op. 96 F-Dur an alles andere als an Reduktion dachte. In dem hier als Zugabe nach langanhaltenden Ovationen mitreißend und feinsinnig kolorierten Schlusssatz zog das Ensemble noch einmal alle Register der Gestaltung. Gerne hätte man das ganze Werk gehört…
Reinhard Palmer, 18.09.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 17.09.2015 | © Werner Gruban