Direkt zum Inhalt

Nach(t)kritik

Mi, 24.02.2016
20.00 Uhr

Verloren ist das Slüzelin

Veranstaltung: Gerd Holzheimer: Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich - Die erotische Kunstkammer

KUNSTKAMMER

 

„Kaum hat man mal, dann ist man gleich“, heißt es bei Kurt Tucholsky. Und wieder ist der Melancholiker unter den satirischen Autoren zum Türöffner hinein in eine Kunstkammer geworden: nach der Komischen und der Abgedrehten öffnet er nun die Erotische. Drinnen sitzen Gerd Holzheimer und Esther Kuhn und zünden die Kerzen am Kandelaber zu einem besonders köstlichen literarischen Menü: es geht um die Sehnsucht und das Verlangen, ums Knistern und Kichern und - ja, auch - ums Kopulieren (das wenig schöne Wort sei dem Stabreim geschuldet, der sich hier einfach mal anbot).

Nun sind Geschichten von und über Erotik, am Tischlein vorgelesen im Kulturtempel, nicht selten meilenweit von jener entfernt. Es empfiehlt sich, die Augen zu schließen und den Spuren zu folgen, die von den Dichtern ausgelegt wurden - den imaginären abgelegten Kleidungsstücken in Form von Versen, Dialogen und kleinen Szenen. Lyrisches perlt da von der Zunge in die Gehörgänge, und manche Metapher lässt mit der letzten Silbe ihre Hüllen fallen.

Die Gästeliste in dieser Kunstkammer ist erlesen: von A wie Achterbusch über Goethe, Horvath, Ringelmatz bis hin zu W wie Walther von der Vogelweide. Sie alle verstehen etwas vom Thema, verdichten ihre einschlägigen Erfahrungen zu Worten. Der Begriff von der Verbalerotik bekommt in diesem Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung.

Doch das Erzählen von der Liebe in all ihren Spielarten ist so alt wie die Literatur selber. Das „Hohe Lied des Salomon“ ist da noch das bekannteste Beispiel, gefolgt von den Gedichten der Sappho. Das älteste deutsche Liebesgedicht entstand am Tegernseer und beginnt mit den ebenso schlichten wie deutungsreichen Worten „Du bist min, ich bin din“. Es stammt aus der Zeit, als die Liebe Minne hieß und ein fahrender Sänger keinesfalls seine Liebe der Angebeteten gestehen durfte, denn diese stand in der Regel sozial einige Stufen über ihm und er machte mit seinem Minnesang ohnehin nur einen „Job“, denn die auf den zum Kampfe ausgerittenen Gatten wartende Burgdame wollte unterhalten werden, und schon damals bat der Sänger, wie ein paar Jahrhunderte nach ihn Robby Williams: „Let me entertain you.“ Da ist er dann auch schon: der Zusammenhang zwischen der Lust am Erotischen und dem Bedürfnis nach Unterhaltung.

Das wusste natürlich auch Goethe, der für seine erotischen Eskapaden nicht minder bekannt ist wie für seine literarischen Qualitäten. In dieser Kunstkammer darf er sich auf dem „West-Östlichen Diwan“ ausstrecken wie einige Epochen später sein Kollege Herbert Rosendorf während einer öffentlichen Ehrung auf der Laudatorenbühne (und wie dieser, so war vermutlich auch Goethe „ganz ausgezeichnet am Pinsel“, wie die Rosendorfer-Laudatorin Sabine Campai unfreiwillig kalauerte).

Neben Goethe lümmelt sich auf dem Diwan die „wilde Gräfin“ Franziska zu Reventlow und schwelgt in den lustvollen Schwabing Boheme-Zeiten, und irgendwann gesellt sich auch Uschi Obermaier zu ihnen, um den „flotten Dreier“ komplett zu machen. Aus der Region liefern Oskar Maria Graf und die ganz und gar nicht überflüssige Lena Christ deftige bayrische Schmankerl, und als Ödön von Horvath den „Ewigen Spießer“ vorführt, läuft Esther Kuhn zu Hochformen auf. 

Und so schließen sich mit dieser letzten die Kunstkammern wieder und bewahren all ihre von Gerd Holzheimer zusammengetragenen Schätze in ihrem Innern, bis eines Tages wieder einer kommt, der den Schlüssel hat oder doch wenigstens das Zauberwort kennt und sie ans Tageslicht holt - diese Welten im Würfel.

Sabine Zaplin, 24.02.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 24.02.2016 | © Werner Gruban