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Nach(t)kritik

Di, 10.11.2015
20.00 Uhr

Violageschichten und Klaviererzählungen

Veranstaltung: Lawrence Power, Viola & Antti Siirala, Klavier: Brahms, Prokofjew, Schumann und Schostakowitsch
Nach so einem großartigen Kammermusikabend mit Viola und Klavier kann man nur schwer verstehen, warum das vollmundig klingende Streichinstrument so lange von den Komponisten vernachlässigt wurde und unser heutiger Konzertbetrieb noch vor wenigen Jahren Bratschenrezitals als exotisch apostrophierte. Der Engländer Lawrence Power und der Finne Antti Siirala waren zum Glück nicht das erste Viola-Klavier-Duo im bosco-Programm. Dennoch ging es nicht ohne Bangen vor leeren Plätzen. Ein paar wenige blieben denn auch unbesetzt. Wer nicht kam, soll sogleich wissen: Der hat was verpasst!
Schon das Programm versprach ein Fest der Klangfarben, Emotionen und spannenden musikalischen Erzählungen. Und das Duo tischte weit mehr auf als geahnt. Auch von den großen, sonoren Klangfluten. Aber vor allem von den beredsamen leisen Passagen, die sich so tief beseelt offenbarten und ergreifende Bekenntnisse offenlegten. Im ganz großen Bogen geschah dies schon in der Phantasy op. 54 des englischen Komponisten York Bowen, der selbst auch Viola spielte und das Instrument optimal in Szene zu setzen verstand. Obgleich 1918 komponiert, erwies sich nur eine späte Sequenz als zeitgemäß, wenn auch noch der Spätromantik entwachsen. Im Grunde konnte das Werk als eine effektvolle Ouvertüre zu Schumanns „Märchenbildern“, dem Originalwerk für diese Besetzung, betrachtet werden, zumindest auf Augenhöhe mit dem raschen dritten Satz. Die beiden Märchenerzähler Power und Siirala verstanden es aber ansonsten, die Märchenbilder mit liebevollen Details zu atmosphärischen Visionen zu formen, die mit fesselnder Rhetorik mysteriöse Geheimnisse offenbarten.
Die Viola aus Bologna von ca. 1610 aus der Werkstatt von Antonio Brenzi, die Lawrence Power hier behutsam bändigte, half mit ihrem charaktervollen Klang, Klarheit der Formen zu bewahren. Insbesondere die melodischen Passagen profitierten von der plastischen Substanz, die Power überaus empfindsam und emotional modellierte. Was Siirala schon sehr forderte, musste er doch bisweilen trotz dichter Virtuosität seinen Part weit zurücknehmen und ins perlende Pianissimo verwandeln.
Extrem sensibel und geradezu fragil gab das Duo die Sonate op. 120/2 von Brahms, der sie in erster Linie zwar für die Klarinette komponiert hatte, aber von vorne herein auch eine Bratschenstimme als Alternativbesetzung beifügte. „Die Es-Dur-Sonate ist ein Werk des Abschieds nicht im Gewande des melancholischen Moll, wie es die drei früheren Klarinettenwerke von Brahms beherrscht, sondern heiter und gelöst. Es ist die noble Geste eines gelassenen Großen, der sich von seiner Kunst in Schein der Einfachheit verabschiedet“, heißt es im Kammermusikführer. Wie es doch die Interpretation des Duos Power und Siirala trifft!
Andere, bisweilen virtuose, mit raffinierten Spieltechniken angereicherte Nuancen servierten die beiden Musiker mit russischen bzw. sowjetischen Werken aus der Feder von Schostakowitsch und Prokofjew. Ganz anders, als man es von den beiden Komponisten gewohnt ist, ging es hier doch um Arrangements orchestraler Werke. Schostakowitschs Suite aus der Filmmusik zu „Ovod“ (The Gadfly) ist zudem eine Musik, die bewegten Bildern zu dienen hatte, andererseits auch der sowjetischen Zensur standhalten musste. Auch wenn sich das Duo von den Filminhalten löste, blieb die Bildhaftigkeit der Musiken bestehen und ließ auch das Pathos und die Elegie des sowjetischen Kinos spüren.Überraschend erklangen hier die Ballettmusiken aus Prokofjews „Romeo und Julia“ straffer in ihrer Modernität als es das Orchesteroriginal vermag. Die spritzige Schärfe, die das Duo bisweilen mit keckem Schmiss exerzierte, ließ schon den späteren Prokofjew mehr als nur erahnen. Mit einer Portion Groteske triumphierte hier der Komponist über die ursprüngliche Ablehnung am Bolschoi-Theater. Trotz lang anhaltender Ovationen konnte hier einfach nichts mehr folgen, zumal das reguläre Programm ohnehin schon Überlänge hatte.
Reinhard Palmer, 11.11.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 10.11.2015 | © Werner Gruban