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Nach(t)kritik

Sa, 01.04.2017
20.00 Uhr

Weil´s Spaß macht

Veranstaltung: Tina Teubner & Ben Süverkrüp: Wenn du mich verlässt komm ich mit

Ja, es gibt Fortschritt zu vermelden: Als Tina Teubner vor etwas mehr als einem Jahr ihr dringend notwendiges Programm „Männer brauchen Grenzen“ im bosco vorstellte, war das eine lebenskluge erzieherische Bilanz maskuliner Verhaltensmuster, genau beobachtet und garniert mit zahllosen praktischen Vorschlägen. Zugleich zeigte Teubner, gebürtige Oberhessin mit Köln-Faible, auch damals schon eine erfrischend kritische Grundhaltung den eigenen Geschlechtsgenossinen gegenüber - jetzt, ein gutes Jahr später, sind Männer und Frauen zwar auch noch nicht wesentlich weiter, dafür hat sich der therapeutische Ansatz der Dame aber noch mehr verfeinert. Neben Degen und Florett hat sie sich quasi noch ein niedliches Skalpell und eine Säge in den Wortbesteckkasten gelegt, und das hört sich dann beim Thema „Optimierungsirrsinn“ bzw. „Esoterik“ ungefähr so an: „Ganze Generationen von 50-Jährigen haben sich geradezu in die Sozialhilfe hinein geatmet – bis sie gemerkt haben, dass Atmen gar kein Beruf ist.“

Da werden also gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe erledigt, mit einem zarten Cut die schönsten Lebensentwürfe zerlegt. Auch die pränatal geförderten, späteren „Burnout-Babys“ kommen an die Reihe, denn schon der zitierte Frank Zappa wusste: „Je langweiliger ein Kind, desto mehr Komplimente bekommen die Eltern.“ Wieder dieses unmerkliche Säge-Geräusch, dieses sanfte Abschleifen der Kanten. Teubner kann freilich auch „grob“, wenn sie zum Beispiel schwer erziehbaren Jugendlichen beim Sprung in den Swimmingpool wegweisend empfiehlt: „Ne Arschbombe auf Carsten Maschmeyer wäre effektiver als ein Bachelor-Studium der Wirtschaftsethik.“ Auch Maschmeyers schauspielernde Frau Veronica Ferres kriegt im Vorbeigehen noch einen Schubser in den Pool: "Die spielt sicher bald auch noch „einen Gletscher, der schmilzt“...

Tina Teubners rotes Tuch sind Menschen, die glauben, mit allen Mitteln der Perfektion nahe kommen zu müssen. Leute, die alles absichern, die sich sogar dauerhaft auf der sicheren Seite des Lebens einrichten, niemals etwas riskieren, niemals Schwäche zeigen. Das sagt sie, und das singt sie denen ins Gesicht, in wunderbar präzisen Liedern wie „Alles gut“, das ihr musikalischer Begleiter und männlicher Stichwortgeber Ben Süverkrüp in ein dramatisches Piano-Finale münden lässt. Statements gegen das ewige Grinsen der eigentlich Todunglücklichen sind diese Songs, ein Lob der Trauer gar, denn „wer sagt denn, dass man nach einer Trennung nicht mal richtig am Boden sein darf?“

Tina Teubners neues Programm ist wieder ein Plädoyer fürs höchst Menschliche, eine Sympathie-Erklärung fürs Scheitern, eine Solidaritätsadresse an die Unvollkommenheit. Sie rückt inzwischen ein Stück weit ab von der distanzbetonten Therapeutenhaltung, sie umarmt ein wenig mehr, spendet Wärme, bekennt in einem ansteckend kraftvollen Lied: „Weil´s Spaß macht!“ Noch immer steht ostentativ das Glas mit der Rotweinflasche auf dem Bistro-Tisch, an den sie sich zwischendurch setzt; noch immer hält sie diesen Weisheitspegel, und noch immer schaut ihr die Knef irgendwie wohlwollend über die Schulter: Teubner  spendet den Leuten Hoffnung mit Niveau, und das ist eine Kunst. Für sie sollte es rote Rosen regnen! Thomas Lochte

Thomas Lochte, 02.04.2017


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 01.04.2017 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting