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Nach(t)kritik

Sa, 05.12.2015
20.00 Uhr

Zwischen Klassik und Romantik

Veranstaltung: Alexej Gorlatch, Klavier: Sieg beim ARD-Wettbewerb
Er hatte schon alles bedeutende erreicht, was ein junger Musiker für eine große Karriere braucht, noch bevor er mit dem ordentlichen Studium richtig anfing. Beim ARD-Wettbewerb hat der aus der Ukraine stammende Alexej Gorlatch schließlich 2011 breitflächig alles eingeheimst, was dort zu kriegen war. Carnegie Hall und Wigmore Hall stehen auch schon eine Weile in seiner Vita. Dennoch machte der 27Jährige einen geerdeten Eindruck. Dass er gerade in den Prüfungen zum Konzertexamen steckt, bringt ihn offenbar kein bisschen aus der Fassung. Aber warum sollte es denn auch, schließlich hat er das Prüfungsprogramm, wie auch hier im bosco, schon vor Publikum reichlich trainiert und die Interpretationen weit übers reine Prüfungsniveau verfeinert.
Es fällt nicht leicht, seinen persönlichen Stil zu beschreiben, vor allem weil Alexej Gorlatch selbst kein Aufheben davon macht. Vielleicht ist tatsächlich diese gänzlich unmanierierte Selbstverständlichkeit, mit der er sich den Werken mit Ruhe und Ausgeglichenheit nähert, der Schlüssel zu seiner Eigenart. Diese Selbstverständlichkeit ist natürlich nur möglich, weil seine Spieltechnik makellos ist, sodass er das virtuoseste Programm und noch zwei halsbrecherische Zugaben meistern kann, ohne die geringsten Anzeichen von Ermüdung. Und doch geht es bei ihm keinesfalls ums Schneller, Höher, Weiter. Nein, Gorlatch geht mit viel Bedacht an die Sache. Deshalb auch in gewisser Weise romantischer an die Beethoven-Sonaten, mit denen der Komponist „einen neuen Weg einschlagen“ wollte, wie sein Schüler Czerny berichtete. Die Gratwanderung zwischen Beethovens früheren Strenge und dem recht befreiten, rubatoreichen Ausblick weit ins 19. Jahrhundert hinein machte hier die Spannung aus, die Gorlatch mit tiefer Konzentration keine Sekunde fallen ließ.
Große Qualitäten erkennt man vor allem an den Stellen, an denen in den Kompositionen wenig passiert. Oder an hintergründigen Elementen, wie die vielen rasanten Begleitfiguren bei Beethoven, die Gorlatch mit akribischer Gleichförmigkeit zu Farbfolien werden ließ. Wie er im Schlussallegretto der Sturmsonate in diesem Vorwärtsdrängen plötzlich eine mysteriöse, melodische Rücknahme hervorzauberte: Solche Momente vermochten viele Emotionen freizusetzen. Den Kopfsatz der Mondscheinsonate spielte er indes in berauschender Ruhe aus. Zart, plastisch geformt, intim und beseelt. Alles Parameter, die Beethoven tatsächlich an Chopin heranrückten. Gerade dessen lapidare Préludes op. 28, die Gorlatch in einer Auswahl von acht interpretierte, boten einen überaus reichhaltigen Ausdrucksfundus, den der Pianist mit großer Sorgfalt und Vielschichtigkeit zu differenzieren verstand. Selbst die leisesten und zartesten Préludes sangen in rund klingenden Tönen, bisweilen wie wohlklingende Glöckchen, in den Läufen von perlender Transparenz.Überraschend geriet das Scherzo b-Moll op. 31 von Chopin, irgendwie ruhelos, bisweilen hastig und fast ohne Atempause. Dieses Scherzo, das den Balladen des Komponisten so nah steht und sich in der rhapsodischen Erzählung zu einer hochemotionalen, leidenschaftlichen Hymne entwickelt, schloss hier dadurch überraschend den Kreis zu Beethovens Sturmsonate, wenn auch in der Virtuosität doch entschieden gesteigert. Es wäre auch alles schlüssig gewesen, wenn da nicht zwischen Beethoven und Chopin „The Currach“ aus „Inishlacken“ des irischen Komponisten Bill Whelan gewesen wäre. Die wie immer bei Whelan an keltische Melodik und entsprechend folkloristische Harmonik angelehnten Stücke mit einem deutlich an Gershwin orientierten Klaviersatz ließ sich nur schwer zuordnen, auch wenn die Vortragskunst mit der überaus inspirierten anschlagstechnischen Differenzierung dennoch faszinierte. Frenetische Ovationen waren Alexej Gorlatch sicher, die er auch reichlich mit zwei Zugaben belohnte: mit der halsbrecherisch-virtuosen cis-Moll-Etüde von Chopin und dem Debussy-Prélude „Ce qu'a vu le vent d'ouest“ (Was der Westwind gesehen hat / aus „Premier Livre“ Nr. 7) in tonmalerischer Freiheit.
Reinhard Palmer, 06.12.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 05.12.2015 | © Werner Gruban