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Veranstaltungsinfo

Do, 08.10.2015
20.00 Uhr
Kabarett

20,00
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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Sarah Hakenberg: Struwwelpeter reloaded

DEUTSCHER KABARETTPREIS 2015 (FÖRDERPREIS) FÜR SARAH HAKENBERG!
"Denn sonst kommt leider schon bald der Schneider, und schneidet dir, schnipp schnapp, die kleinen Finger ab. So kriegst du passend - wenn auch erblassend - zur Handyapp ein Handicap."
„Willkommen in der Champions League!“ lobpreiste die Süddeutsche Zeitung Sarah Hakenberg zu ihrem dritten Soloprogramm „Struwwelpeter reloaded“, in dem die Kabarettistin und Liedermacherin die allseits bekannten Geschichten vom Struwwelpeter in die heutige Zeit versetzt. Statt des Zappelphilipps erklingt die Hymne von der Ritalin-Aline, Hans-guck-in-die-Luft verwandelt sich in Mandy-guck-aufs-Handy, ein scheinbar fröhliches Kinderfest der NPD löst die Geschichte vom schwarzen Buben ab, und der Suppenkasper erscheint als draller Kalle, der auf dem Spielplatz versehentlich in der Röhrenrutsche steckenbleibt. Stets treuherzig lächelnd sitzt Sarah Hakenberg am Klavier und haut ihrem Publikum kleine gemeine Gassenhauer um die Ohren, die vor messerscharfem und diabolischem Witz nur zu sprühen. Bitterböse Ironie, garantiert pädogogisch wertfrei und urkomisch – Hakenberg von ihrer schwärzesten Seite.

Nach(t)kritik von Sabine Zaplin, 04.10.2013 Aus dem Poesiealbum für böse Kinder Am schlimmsten war die Geschichte vom armen Paulinchen, das allein zu Haus war und dann lag da diese Packung Streichhölzer, und wie ging´s aus? „Verbrannt ist alles ganz und gar, das arme Kind mit Haut und Haar; ein Häuflein Asche bleibt allein, und beide Schuh`, so hübsch und fein.“ Und seltsamerweise auch die beiden Katzen. Die überleben die Feuersbrunst. Schon deshalb sprach mir Sarah Hakenberg aus dem Herzen, als sie in ihrem Programm „Struwwelpeter reloaded“ ihre Version der Geschichte vom „Wilden Jäger“ vorstellt: „Hündchen lynchen in München“. Die überleben sonst alles, die Viecher, ob Hündchen, Tauben, Hamster oder auch Katzen wie Minz und Maunz.
Um aber doch eines klarzustellen: ich habe nichts gegen Katzen (habe ja selber eine), ebenso wenig, wie Sarah Hakenberg etwas gegen Kinder haben dürfte. Stattdessen entlarvt ihr bitterböses neues Programm, das sie in Gauting vorstellte, jene Kinderhasser, die sich auf ihre Vorstellung vom Aufwachsen in bester Struwwelpetermanier einen Reim machen, bei dem sich „Christkind“ zu „artig sind“ fügt oder eben das Schicksal der drogenabhängigen Aline zum Wundermittel Ritalin. Bestandaufnahmen von Kinderrealitäten sind beide, der gute alte „Struwwelpeter“ aus dem Horrorkabinett des 19. Jahrhunderts und die „Reloaded“-Fassung der Musikkabarettistin.
Das Programm begann mit einem – leicht akademisch angehauchten – Überblick der verschiedenen existierenden Fassungen des „Struwwelpeter“, angefangen bei der „Struwwelliese“ über den „Anti-Struwwelpeter“ bis hin zum „Schwuchtelpeter“, alles mit Beispielen in Buch- und Zitatform belegt und kommentiert. Das war zwar sehr interessant, hätte aber leicht in eine ganz andere Richtung führen können. Glücklicherweise schlug die bestinformierte Kabarettistin schon bald einen ersten Haken und entführte mit süßestem Lächeln auf den grausamsten Schauplatz real existierenden Darwinismus, wo, wer nicht in Form ist, einfach mal in der Röhre stecken bleibt: auf den Spielplatz. Hier erwischt es den modernen Suppenkasper, den drallen Kalle, beim Rutschen. Es folgt die medizinisch zurechttherapierte weibliche Variante des Zappelphilipps, die Ritalin-Aline, auf die Sarah Hakenberg eine Hymne zu singen weiß: „Ein Hoch auf legale Drogen“ wie eben Ritalin und Co., später geht es um den zeitgemäßen Daumenlutscher, die Handy-Mandy, der kurzerhand beim SMSen von einem ebenfalls smartphoneabgelenkten Autofahrer der Arm abgefahren wird.
Sarah Hakenbergs Programm trägt eine ganz eigene Handschrift. Die Musik spielt eine große Rolle, die am Klavier präsentierten Spottverse und bösen Lieder bilden das Herz des Abends. Ein Stück wird auf der Gitarre begleitet: die Geschichte vom „Fliegenden Robert“ in einer tiefsinnigen, unter der Wollmütze cool eingefrorenen Singer-Songwriter-Fassung. Mindestens ebenso wichtig sind die schwarzhumorigen Texte, die das scheinbar Süßliche des Originals ad absurdum führen. Und ja: Frau Hakenberg hat sie alle selbst geschrieben, obwohl sie eine Frau ist. Wie lautet doch ihr Rat an die bösen, immer ärgernden Buben: „Euer Leben hängt am Fädchen ärgert ihr zu arg die Mädchen, scheinen sie auch brav und schlicht, so unterschätzt sie lieber nicht.“
Musikkabarett, ja; aber auch Poetry, ganz viel Poetisches, mit Sinn für Rhythmus und gesprochene, gesungene Sprache. Und eine dicke Schicht Schwarz über dem grell vorgeführten Zuckerguss. „Makaberett“, habe mal jemand ihre Version des Kabarett genannt, erzählt Sarah Hakenberg. Das könnte ein Name sein.
Nach(t)kritik
Flying Robby und die Scheren des Schneiders
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin
Beim Klassentreffen waren sie dann alle wieder zusammen: die einarmige Mandy; Rolf, der Hamsterkiller; Ritalin-Aline mit dem florierenden Drogenhandel und der brave Heinrich aus der NPD-Kaderschmiede. Das ganze Struwwelpeter-Personal, freilich das aus der bitterbös schwarzhumorigen Fassung von Sarah Hakenberg, die den Kinderzimmerschreck des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart übertragen und einen „Struwwelpeter reloaded“ im bosco präsentiert hat. Schon einmal war sie mit dem Programm in Gauting, damals war es noch neu, doch die vielen Vorstellungen seitdem haben ihm nur gut getan und – falls das überhaupt noch möglich ist – den schwarzen Humor noch dunkler gefärbt.
Denn Sarah Hakenberg lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Entwicklungsrichtung unserer Gesellschaft seit der Entstehungszeit des Struwwelpeter eher in Richtung „negativ“ einordnet und der gegenwärtigen Kindheit gegenüber der des 19.Jahrhunderts nicht unbedingt den Vorzug geben würde. Eine Zeit, in der die allgemein anerkannte Therapie für einen „Zappelphilipp“ die sofortige und uferlose Bereitstellung von Psychopharmaka ist; eine Zeit, die für Welpen Yoga-Kurse vorsieht, Schülern aber den Schwimmunterricht streicht; eine Zeit, die für ihre Gewaltverherrlichung nicht einmal Ballerspiele am Computer benötigt, da schon einfache Kinderbücher zum Malen von abgeschlagenen Köpfen und blutverschmierten Körpern auffordert, muss sich nicht anmaßen, einen „Struwwelpeter“ mit seinem Daumenlutscher und seinem Suppenkasper für „nicht kindgemäß“ zu erklären. Gewiss ist dieser keine Lektüre, die man mit dem Stempel „empfehlenswert“ versehen möchte – aber einen besseren, empfehlenswerteren Umgang mit dem Schutzraum Kindheit pflegt die zweckrationalisierte Gegenwart nun auch nicht unbedingt.
Auf diese kleinen, doch fiesen Wunden legt Sarah Hakenberg erbarmungslos den Finger. Sie tut dies aber weder moralisierend noch mit dem Nachdruck eines am Finger mitschwingenden Holzhammers. Stattdessen serviert sie ihren „Struwwelpeter reloaded“ mit Engelslächeln und einem im Unschuldsgewand daherkommendem Charme. Umso stärker überrascht das Bitterböse ihrer Texte, die sie überwiegend in Liedern präsentiert. Als „Makaberett“ bezeichnet sie einmal im Laufe des Abends ihren Stil, und tatsächlich hat dieses Kabarett eine makabere Note. Die Geschichte vom Suppenkasper beispielsweise, die im Zeitalter von eigens auf Kinder zugeschnittenen Lebensmittel mit Suchtpotential und einer fatalen Fett-Kalorien-Kohlehydrate-Mischung zum Lied über den „Drallen Kalle“ wird, der nach dem Genuss von allzu vielen Happy-Meals regelmäßig in der Röhrenrutsche stecken bleibt. Oder die Geschichte des armen Knaben, dem wegen seines exzessiven Daumenlutschens ein Schneider eben diese beiden Extremitäten abschneidet: bei Sarah Hakenberg wird daraus ein Lied über die Handy-Mandy, die beim SMS-Schreiben so unglücklich von einem Auto erwischt wird, dass ihr im Krankenhaus der rechte Arm amputiert werden muss. Zu einem „Hoch auf legale Drogen“ schließlich wird die zeitgemäße Fassung des Zappelphilipp, einem Kind, dem mit Ritalin und anschließenden Stimmungsaufhellern die nötige Stromlinienform für die Anforderungen der Leistungsgesellschaft per Rezept verschrieben wird. Schöne neue Kinderzeit. Struwwelpeter reloaded.
Die ganz große Stärke dieser Künstlerin ist ihre Bühnenpräsenz und die Aufmerksamkeit, die sie ihrem Publikum entgegenbringt. Sarah Hakenberg braucht dafür keine Konzentrationsunterstützer, und ihre Lebhaftigkeit ist ein wahrer Glücksfall. Spontan und begeistert reagiert sie auf die Stimmung im Publikum, fragt Meinungen nicht bloß ab, sondern baut sie unmittelbar in ihr Programm ein. Singt im Zweifelsfall, wenn die Zuhörerschaft sich nicht einigen kann, gleich mal zwei Lieder mehr und lässt sich einfach mal zwischendurch nach ihrer Herkunft fragen, wobei sie aus der Antwort gleich eine Spontannummer macht. Der wahre Struwwelpeter ist sie selber, shock-headed Peter, flying Robby und Miss Hookmountain in einer Person. Da wird der im Hals steckenbleibende Lacher zur Bewusstseinserweiterung.
 
Galerie
Bilder der Veranstaltung
Do, 08.10.2015 | © Werner Gruban