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Junge wenden sich von der Leinwand ab
Diskussion über Krise und Perspektiven: Streaming sorgt für Kinosterben.
Kinokrise und Kinoperspektiven diskutierte ein mit Matthias Helwig, Betreiber der Breitwand-Kinos und Leiter des Fünf-Seen-Filmfestivals, hochkarätig besetztes Podium am Freitagend mit etwa 30 Interessierten im Gautinger Bosco. Die Veranstaltung gehörte zum Rahmenprogramm der Ausstellung „Cinemas“ mit Fotos von verlassenen Kinogebäuden von Margarete Freudenstadt.
Streaming-Dienste beschleunigten seit den Nuller-Jahren das Kinosterben, auch in München, analysierte die Filmfestival-Forscherin und Strategieberaterin Tanja C. Krainhöfer. „Türkendolch“, „Lupe“ oder das „Filmcasino“ am Odeonsplatz seien längst Geschichte. Allein in Berlin sank die Anzahl der Kinos seit 2009 von 97 Standorten auf heute 81 – „ein Rückgang von fast 20 Prozent“, erläuterte die Medienwissenschaftlerin die Folgen der Corona-Pandemie. Während früher die 20- bis 30-Jährigen die stärkste Gruppe unter den Kinogängern waren, sehe man sie heute kaum noch im Filmtheater.
Aber auch das sogenannte „Free TV“ habe keine Zukunft. Das Durchschnittsalter eines ARD-Zuschauers liege bereits bei 65 Jahren. Der Spielfilm „Triangle of Sadness“ sei die große Ausnahme gewesen, die auch die junge Generation zurück ins Kino holte – einen niederschwelligen Kulturort. „Enormen Zuwachs“ seit den 1980er-Jahren verzeichneten lediglich die deutschen Filmfestivals als Begegnungsorte. Denn Umwelt-, Doku- oder Frauen-Film-Festivals „geben in einer komplexen Welt Orientierung“, verrät Krainhöfer das Erfolgsgeheimnis dieses Formats.
„War es Trotz, Naivität oder grenzenloser Optimismus, dass du in Gauting ein Kino mit fünf Sälen gebaut hast?“, stellt die Moderatorin und Drehbuchautorin Tanja Weber dem Cineasten Matthias Helwig die Grundsatzfrage. Er habe ja schon zuvor 30 Jahre lang Kino gemacht, erinnerte der Betreiber, „und ich mache sehr viel aus dem Bauch heraus.“ Doch ein Filmtheater mit einem einzigen Saal sei heutzutage nicht wirtschaftlich, weil dort nur ein Streifen gezeigt werden könne, aber jede Woche zehn bis 15 Filme neu auf den Markt kämen. Aus diesem Grund habe er sein Breitwand in Herrsching als „Einzelkino“ 2018 schließen müssen. Sein Starnberger Breitwand als Doppelkino sei „eigentlich nicht mehr machbar“. Dass aktuell Corona noch dazukam, „war nicht in meinem Kalkül“, bekennt Helwig.
Er müsse daher neue Besuchergruppen aus der jungen Generation erschließen. Doch abgesehen vom Publikumsmagnet „Triangle of Sadness“ gingen die Töchter und Söhne der „Arthouse“-Väter an Netflix verloren. Die unmittelbare Zukunft mit nur noch 60 Prozent „Arthouse“-Besuchern „wird sehr schwer werden“, prophezeite der Breitwand-Betreiber. Längerfristig „wird es immer Kino geben – und Menschen, die es gestalten wollen“ ist der Cineast überzeugt. „Ich mach’s eh noch eine Weile“, sagt der Gilchinger mit feinem Lächeln – und seine Gautinger Fans im Bosco applaudieren begeistert.