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Nach(t)kritik

Sa, 16.12.2023
20.00 Uhr

Spiel im Gespräch

Veranstaltung: Sebastian Studnitzky & Andrii Pokaz: Improvisational Jazz Duo

Manchmal kann man nur ahnen, was in den Köpfen von Menschen vorgeht. Andrii Pokaz ist für etwa zehn Tage nach Deutschland gekommen. Zwei Konzerte stehen auf dem Plan, einmal Tübingen, dann Gauting. Weiter geht es nach Berlin, ein paar Tage Proben und Aufnahmen im Studio. Ist die Kunst im Kasten, erwartet ihn der Weg zurück nach Kiew, wo er derzeit lebt. Dort kann es passieren, dass er plötzlich zum Militär muss, an die Front in einen Krieg, den niemand will und der sich nicht darum schert, ob der junge Mann hinreißend Klavier spielt oder nicht. Man kann nicht wissen, was ihm durch den Kopf geht, wenn er auf der Bühne des Bosco sitzt und im Duo mit dem Trompeter Sebastian Studnitzky spielt. Aber es sind intensive Gedanken, aufwühlende Emotionen, die er manchmal mit Nachdruck zulässt, wenn sie nicht von feiner Melancholie ummantelt werden.

Es ist in vieler Hinsicht ein Abend der Experimente. Zum einen kennen sich Pokaz und Studnitzky als Musiker noch nicht lange. Der Kontakt kam in Zeiten von Corona und Krieg zunächst digital zustande. Man tauschte Soundfiles und spielte sich gegenseitig Melodien in die Datensätze. Im vergangenen Sommer verwirklichte Studnitzky dann ein Projekt, das ihn mit dem Dirigenten Volodimir Dikiys und dem Symphonieorchester Odessa zusammenbrachte, mit dem er die inzwischen digital in Etappen erscheinende EP „Momento Odesa“ aufnahm. Andrii Pokaz gehörte zum Team, man traf sich für Musik und so entwickelte sich ein Duo daraus, das nun seine neuen Wege geht. Es ist eine ungewöhnliche Mischung, die auch das Programm auf der Bosco-Bühne prägt. Denn die Stücke existieren nur als Rahmen und thematischer Ausgangspunkt, von dem aus die Partner ihre Ideen im improvisierenden Dialog schweifen lassen.

Manchmal starten sie bei Folklore, nehmen ein ukrainisches Volkslied als Vorlage, das über kleine Metallstreifen im Flügel zeitweilig Cimbalom-Effekte entwickelt, um daraufhin in Tonkaskaden zu münden. Es gibt feinzart sich entwickelnde kammermusikalische Momente, die mehr Klangmeditation als strenge Komposition sind. Manchmal hilft auch ein Radiohead-Song, um eine Improvisation zu beflügeln. Pokaz’ vielseitig schattierendes, auf klassischer Ausbildung basierendes Klavier ergänzt sich inspirierend mit Studnitskys ungewöhnlich luftreichem Tompetenton, der am unteren Ende der dynamischen Skala mehr haucht und flüstert, als strahlt und dominiert. Die Kombination ist ästhetisch umarmend, sie vertraut auf die Aufmerksamkeit des anderen, um im Gespräch der Musik Kraft abzugewinnen. Man hört das und ahnt, was in den Musikern vorgeht, spürt die Hoffnung, manchmal Wut und Schmerz, aber auch die Perspektive, die von der Gemeinsamkeit in der Kunst ausgeht.

Ralf Dombrowski, 17.12.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 16.12.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.