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Nach(t)kritik

Fr, 02.12.2016
20.00 Uhr

Vom Befremdlichen, von der Fremde und von einem Zuhause

Veranstaltung: Fridolin Schley: Fremd & Die Ungesichter

Es sei immer ein Nach-Hause-Kommen, sagt Fridolin Schley zu Beginn seiner Lesung in der bar rosso, die an diesem nieselnassen Dezemberabend so warm in ihrem roten Licht liegt wie ein Ohrensessel-Arrangement vor einem lodernden Kaminfeuer. Nach Hause kommen - das war eine heimliche Überschrift für diese Veranstaltung, wie sie besser nicht hätte sein können. Schließlich ist Fridolin Schley in Gauting aufgewachsen, es saßen Weggefährten aus gemeinsamer Vergangenheit im Publikum, und im Anschluss sollte es noch einen kleinen Abstecher in den Krapf geben, der auch ein Zuhause gewesen ist. Nach Hause kommen - für Amal, deren Geschichte Schley in seinem Buch „Die Ungesichter“ erzählt, ist das nicht mehr so einfach möglich, ihr Zuhause in Somalia ist von Islamisten unkenntlich gemacht worden, ist zum Ausgangspunkt ihrer grausamen Flucht geworden. Und wenn die Schriftsteller, deren Texte unter dem Titel „Fremd“ in der von Schley herausgegebenen Anthologie erschienen sind, über den Weg „Nach Hause“ erzählen, dann  liegt dieser Ort auf einer Achse mit dem Fremden, der Fremde: fremd sind die Parolen, ist das Gebrüll derjenigen, die sich Patrioten nennen und als vermeintliche Retter eines in ihrem Sinne verstandenen Abendlandes auftreten.
Zwei Bücher hat Fridolin Schley bei seiner Lesung auf dem Tisch liegen, beide handeln von dem, was unsere Gegenwart bestimmt, beide kreisen um die Frage, wo und wie wir künftig „nach Hause kommen“ wollen.
Die Anthologie „Fremd“ entstand, als im vergangenen Jahr Pegida auch in München aufmarschierte. Auf Gegendemonstrationen traf Fridolin Schley auf Schriftstellerkollegen, und nachdem man miteinander die Erfahrung machte, auf welche Weise die Pegida-Brüller die Sprache verrohen ließen, beschlossen Schley und andere, sich auf die ihnen gemäße Weise damit auseinanderzusetzen und Geschichten, Gedichte, Satiren zu verfassen. Lena Gorelik ist in dem Buch „Fremd“ vertreten, Thomas Lang, Doris Dörrie, Dagmar Leupold und andere. In einem wunderbar ironischen Vorwort zu diesem Buch erzählt Fridolin Schley von einer Aktion gegen eine Pegida-Kundgebung in Haidhausen und wie diese zu einer Begegnung mit dem Fremden wurde - den fremden Fremdenhassern, dem Gefühl der Fremdheit in einer doch sonst als Kuschelkiez wahrgenommenen Umgebung. „Wir dachten alle, das ist eine vorübergehende Episode“, erzählt Schley in Gauting, „aber dem ist nicht so.“ Die Engstirnigkeit, das Nationale nehmen zu, der Brexit, die US-Wahl sind Beispiele dafür. „Und wenn in Frankreich im nächsten Jahr Marine Le Pen an die Macht kommen sollte, dann wäre das die größte Katastrophe.“ Das Fremde sind nicht die Menschen auf der Flucht, das Fremde ist das Aufkeimen der nationalen Gesinnungen ringsum - befremdlich.
Genau wie „Fremd“ ist auch „Die Ungesichter“ in diesem Frühjahr erschienen, bildet gewissermaßen das Gegenstück zur Anthologie der deutschsprachigen Gegenwartsautoren. „Die Angesichter“ ist die - wahre - Geschichte einer aus Somalia geflohenen jungen Frau, die zu Beginn ihrer Flucht erst 15 Jahre alt war. Sie hat ihre Geschichte Fridolin Schley erzählt, im Rahmen eines Projektes stattfand, das Schriftsteller zu Paten von Flüchtlingen machte mit dem Ziel, diesen eine Stimme zu geben, ihre Geschichten publik zu machen. Amals Geschichte geht unter die Haut, die Gautinger Zuhörer sind stumm vor Fassungslosigkeit. Ähnlich erging es auch Fridolin Schley, als er die Geschichte erstmals hörte. Die Schwierigkeit für ihn als Schriftsteller war, diesem erzählten Schicksal gerecht werden zu können; er hat sich schließlich dafür entschieden, es in eine literarische Form zu übersetzen, hat ein besonderes Verfahren dafür entwickelt, auf Interpunktion verzichtet, um das Rastlose auch im Sprachfluss sich widerspiegeln zu lassen, hat die Sätze immer wieder aufgebrochen, abgebrochen. Beim Vorlesen wird dies weniger deutlich als beim Silberlesen, dennoch entsteht der Eindruck des Gehetzten.
Und so kommt Amals Geschichte durch das Nach-Hause-Kommen eines in Gauting aufgewachsenen Schriftstellers in der bar rosso zu ihrem Flucht-Punkt, indem sie Gehör findet. Aufgenommen wird.

Sabine Zaplin, 02.12.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.