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Nach(t)kritik

Sa, 14.10.2023
20.00 Uhr

Wie lange dauert es, bis der Wind sich dreht?

Veranstaltung: Jisr: Open Border

„Wa wa“, sagt man in Marokko, wenn etwas sehr gut gelungen ist. Und genau das gilt für das Konzert von JISR: der ganze Abend war ein hochaktuelles Beispiel dafür, dass Verständigung zwischen Kulturen möglich ist - mit der Sprache der Musik. Das letzte Stück des Konzertes beispielsweise war ein phantastischer Cross-over von bayerischem Volkslied und einem traditionellen irakischen Stück, mit kraftvollem Bläserquintett und Gesang, gesetzt in Moll und so traurigschön wie ein Spätsommerabend in den Bergen, ob in den Alpen oder am Taurusgebirge.

„JISR“, heißt Brücke, und Brücken baut das Ensemble um Mohcine Ramdan in Form von musikalischen Verbindungen mir jedem einzelnen Titel. Dafür garantieren schon die aus den verschiedensten Kulturen stammenden Musiker:innen, die Mohcine Ramdan umgeben: das sind neben Sänger und Gembri-Spieler Ramdan der mit ungarischen Einflüssen musizierende Gergely Lukasc (Trompete), Dattareya Desai mit einer im indischen musikraum bekannten Flöte, Niko Schabel an verschiedenen aus dem Jazz und Blues bekannten Blasinstrumenten, Schlagzeuger Matthias Gmelin mit Rhyhmen aus verschiedensten Richtungen populärer Musik und schließlich die mit Weltmusik aufgewachsene Pianistin Marja Burchard, Tochter des Embryo-Gründers Christian Burchard, selber bei Embryo aktiv und bei diesem Konzert auch Posaunistin. Aus welch vielfältigen Steinen diese Musiker und Musikerinnen Brücken zu bauen verstehen, zeigt neben anderem das zweite Stück des Abends, das Mocine Ramdan und Gergely Lukasc in den ungarischen Weinbergen bei Lukascs Großmutter eingefallen ist und in dem sich ein ungarisches Liebeslied mit dem Leid afrikanischer Sklaven zu einer Ballade der tiefen Empfindungen verwebt.

Immer wieder geht es um emotionales Erbe, um das, was musikalische Weltenbummler und Weltenbummlerinnen im Gepäck mit sich tragen und in der Begegnung voreinander ausbrieten, um daraus eigene Erinnerungen hervorzuzaubern und eine gemeinsame Geschichte zu schreiben. Marja Burchard und Mohcine Ramdan tun das schon seit vielen Jahren. Eines ihrer Stücke erzählt von einem dieser warmen Spätherbsttage, in denen der Frühling schon verfrühte Grüße sendet und im oberbayerischen München eine Idee von Wüste entsteht, von fernen Welten, die auf einmal sehr nah sind. „Wie lange dauert es, bis der Wind sich dreht?“, singt Ramdan am Ende dieses beinahe sinfonischen, sich immer weiter entwickelnden Stücks. Manche Dialoge dauern ein Leben lang und wollen immer noch weiter geführt werden. Dem Dialog, den JISR auf der Bühne miteinander führen, hört man gern zu und wird imZuhören ein Teil davon.

„Wa wa“, so lautet der Titel des aktuellen Albums von JISR, dessen Titelsong die Band am Ende des Konzertes präsentierte - ein Mut und Hoffnung machendes Stück, wie es die Gegenwart bitter nötig hat. Manchmal beginnt Verständigung erst dort, wo Worte nicht mehr möglich scheinen. Möge es mehr Brücken geben wie JISR, damit das Aufeinander-Zugehen irgendwann einfacher, irgendwann „Wa wa“ sein wird.

Sabine Zaplin, 15.10.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 14.10.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.