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Veranstaltungsinfo

05. - 14.04.2024

Ausstellung

Eintritt frei

Spenden willkommen

Museum auf Zeit: "Mausefallen für Dich - Zigarren für die Welt"

Arbeit und frühe Industrialisierung in Gauting

Mit Objekten aus der Sammlung von Hermann Geiger

Das Gautinger Kulturhaus bosco verwandelt sich für wenige Tage in ein Museum auf Zeit: Mit Objekten aus der reichhaltigen Sammlung des Unterbrunner Sammlers Hermann Geiger sowie Ergänzungen aus dem Fundus der Firma Webasto, der ehemaligen Austria Tabakregie und dem Archiv der Gemeinde Gauting entsteht eine Reise in die Vergangenheit, in die Frühzeit der Industrialisierung Gautings.

Entlang der Würm wurde an vielen Stellen die Wasserkraft genutzt um Energie zu erzeugen, was die Veränderung in der Arbeitswelt vorantrieb. Mehrere Firmen entstanden hier im 19. Jahrhundert: Metallstanzwerke in Stockdorf und Grubmühl, die Papierfabrik Haerlin und die Vorproduktion in der Holzschleif, das Alfawerk als Spezialwerk für landwirtschaftliche Maschinen. Auch der heutige Weltkonzern Webasto fing mit der Herstellung von Haushaltsartikeln klein an. Darüber hinaus führte das Engagement der österreichischen Tabakregie zu hunderten von neuen Arbeitsplätzen. Schließlich sorgte der Bau der Bahnstrecke von München nach Starnberg (und später nach Garmisch) für eine große Innovation im Warentransport und zu mehr Mobilität der Menschen. Vieles aus dieser Zeit ist inzwischen verschwunden und wird mithilfe von Bildern, Texten und Objekten in dieser Ausstellung erinnert.

In Zusammenarbeit mit dem Archiv der Gemeinde Gauting
Kurator*innen Rosemarie Zacher, Sibylle Sommer, Werner Gruban
Gesamtleitung Hans-Georg Krause

Öffnungszeiten der Ausstellung
Fr 05.04. | Sa 06.04. | So 07.04. | Do 11.04. | Fr 12.04. | Sa, 13.04. | So 14.04.
jeweils von 14:00 - 18:00

Programm zur Ausstellung  "Museum auf Zeit"
Workshop Metallwerkstatt
Sa 06.04.2024 | 14:00 - 18:00 | Eintritt € 12,00 (Kinder), € 20,00 (Erwachsene) | Anmeldung*
Workshop Buchbindewerkstatt So 07.04.2024 | 14:00 - 18:00 | Eintritt € 12,00 (Kinder), € 20,00 (Erwachsene) | Anmeldung*
Vortrag   "Die Zukunft der Arbeit" Di 09.04.2024 | 20:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Lesung  "Liebesbriefe aus der Papierfabrik" Mi 10.04.2024 | 20:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Vortrag  "Arbeitssituation der Weltkriegsflüchtlinge" Do 11.04.2024 | 19:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führungen mit Hermann Geiger Fr 12.04.2024 | 18:00  + 19:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führung für blinde und sehbehinderte Gäste Sa 13.04.2024 | 10:30 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führungen mit Hermann Geiger Sa 13.04.2024 | 18:00  + 19:00  | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führung mit Hermann Geiger So 14.04.2024 | 17:45   | Eintritt frei |  Anmeldung*

Historischer Friseursalon
Haare schneiden lassen durch die Chefin des ehemaligen Stockdorfer "Friseursalon Gabriele"
jeweils von Fr - So | 14:00 - 18:00 | Gegen Spende | Anmeldung: ausstellung@theaterforum.de

Café Bar Rosso
Die bar rosso hat während der Ausstellungszeiten geöffnet: Bei Kaffee und Kuchen können Sie Erinnerungen austauschen und mit ein bisschen Glück auch den Berichten von Zeitzeug*innen lauschen.

Führungen zur Ausstellung
An Vormittagen können Führungen für Schulklassen und Erwachsenengruppen (max. 15 Personen) für Mo 08. – Fr 12.04. kostenlos gebucht werden.* (Uhrzeit nach Vereinbarung)
Am Do 11.04. um 10.15 Uhr sowie am Sa 13.04. um 10.15 Uhr führt Altbürgermeister Dr. Ekkehard Knobloch interessierte Besucher durch die Ausstellung. Die Teilnahme ist kostenlos.*

*Wegen begrenzter Plätze unter: ausstellung@theaterforum.de

Unterstützt von

                       

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Pressestimmen
„Eine Zeit ist es schön, dann ist es vorbei“
Pressestimme von Volker Ufertinger
Erschienen in:   Starnberger Merkur

Die Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“ ist seit Sonntag Geschichte. Fast 3000 Besucher wollten sie sehen. Am letzten Wochenende führte Sammler Hermann Geiger noch einmal Dutzende von Besuchern durch das Bosco und erläuterte die Exponate.

Lange hat Hermann Geiger vom „Tag X“ geträumt. Dem Tag, an dem er alles der Öffentlichkeit zeigen kann, was er im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gesammelt hat. Jetzt war er da. Genau genommen waren es sogar zehn Tage X, so lange dauerte die Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“, die die Ära des industriellen Gauting etwa zwischen 1870 und 1970 erlebbar machte. Am Wochenende führte Geiger noch einmal Dutzende von Besuchern durch die Ausstellung – und erzählte launig die Geschichten hinter den Geschichten. Denn zu jedem Exponat gibt es eine.

Zum Beispiel die von der Glühbirne, die die Aufschrift „Gestohlen bei Webasto Stockdorf“. Was hatte es damit auf sich? Nun, Geiger, der aus einem landwirtschaftlichen Betrieb in Unterbrunn stammt, hat ihn in seiner Lehrzeit bei Webasto eigenhändig angebracht. „Ich wusste nicht genau, was ich werden sollte, und gegen Elektriker hatte ich nichts einzuwenden.“ Beim Einstellungsgespräch habe es nur geheißen: „Das passt schon, der kommt aus der Landwirtschaft.“ Mit dem Schriftzug sollte die Glühbirne als Diebesgut kenntlich gemacht werden. Außerdem erinnerte er sich daran, dass in den 1970er Jahren viele Gastarbeiter an den schweren Geräten gearbeitet hätten – ohne so etwas wie Gehörschutz. „Das gab es damals noch nicht. Obwohl es in ganz Stockdorf gescheppert hat.“

Apropos Landwirtschaft: Aus seinem heimischen Betrieb brachte der Unterbrunner allerhand mit ein, etwa die Melkmaschinen, von denen die Geigers zu Hause zwei Stück hatten. Bei älteren Kühen sei es kein Problem gewesen, sie händisch am Euter anzubringen. Aber wenn ein junges Tier nervös wurde, konnte es schon passieren, dass der Melker mehr oder weniger quer durch den Stall flog – und dabei die gute Milch verschüttet wurde.

Wer heute an Landwirtschaft denkt, denkt gleich an Bulldogs. Geiger aber hat noch die Zeit davor erlebt. „Wir haben bis 1956 Ochsen gehabt, erst dann kam der Bulldog“, erinnerte er sich bei seiner Führung. Wenn einer 25 PS hatte, war das in Gauting und Umgebung schon einen Sensation.

Auch so manche Spitze gegen die Gautinger hatte der Unterbrunner parat. Etwa, als er erzählte, dass laut historischen Dokumenten 1887 die Polizei von Unterbrunn nach Gauting verlegt werden sollte, mit dem Argument, dass in den dortigen Fabriken wertvolles Metall gestanzt wird. „Ihr Gautinger habt’s ja außer der Würm nix gehabt, nicht einmal eine Polizeistation“, scherzte er. Da schallte es aus dem Publikum zurück: „Ihr werdet die Polizei schon gebraucht haben.“ Großes Gelächter.

Besonders stolz war der Sammler über das Eingangstor der ehemaligen Grundschule, die er vor dem Abbruch gerettet hat. Der Vorgängerbau des heutigen KARLS war anfangs ein Hotel, weil nach dem Fund einer Schwefelquelle 1872 der Gastronom Georg Hiltl die Idee hatte, gleich neben dem Bahnhof eine großes Etablissement zu errichten. Doch die Quelle versiegte, der Hotelbetrieb wurde eingestellt. Es folgte – in der Reihenfolge der Nutzung – eine Elektrofirma, eine Zigarrenfabrik und dann eben die Grundschule. Durch die Tür blickten die Besucher auf ein großes Foto vom Festsaal des Hotels. Das Geschirr, das auf dem Tisch stand, war Original. „Das habe ich im Internet gefunden, die Oma von der Eigentümerin hatte dort noch in der Küche gearbeitet und wollte es loswerden.“

Die Rercherche hörte übrigens während der Ausstellung keineswegs auf. Ausgelöst von der Berichterstattung unserer Zeitung, meldete sich eine Frau bei Geiger, die einen uralten Artikel über die Fabrik aus der „Deutschen Tabakzeitung“ aufbewahrt hatte. Dort heißt es unter anderem, dass ein Filmteam – offenbar dasselbe, das den Stummfilm „Der Untergang Trojas“ in Schlagenhofen drehte – Aufnahmen angefertigt hätte. „Wenn ich einmal Zeit habe, frage ich in den Bavaria-Filmstudios nach“, sagte Geiger. „Vielleicht liegt es ja noch irgendwo.“

Besondere Aufmerksamkeit wurde bei der Führung der Fahne des Würmtaler Arbeiter-Krankenunterstützungsvereins zuteil. Genau genommen, hingen gleich zwei von der Decke im großen Saal, die dunkelgrüne ältere (aus dem Besitz Geigers) und die beigefarbene jüngere (aus dem Besitz der Gemeinde). Auffallend: In der Mitte der alten klaffte ein Loch, und Geiger konnte auch erklären, warum: „Das haben sie halt ausgeschnitten und in die neue eingenäht.“ Das Motiv zeigt einen Handschlag – Ausdruck für die Arbeitersolidarität. Der Verein wurde aufgelöst, als sein zentrales Anliegen Anfang der 1970er-Jahre erfüllt war: die sechswöchige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Gestern, Montag, mussten Geiger und seine Helfer die Ausstellung wieder abbauen, schon am Mittwoch steht im Bosco eine Veranstaltung an. Das Bedauern über das Ende ist groß, viele klagen über die kurze Dauer. Nur Geiger nahm es mit Humor: „Das ist wie beim Christo, der den Reichstag in Berlin eingepackt hat“, sagt er. „Das ist eine Zeit lang schön, und dann ist es halt vorbei.“ Alle, die die Ausstellung nicht gesehen haben, müssen auf den Ausstellungskatalog hoffen. Zur Zeit wird geprüft, ob die Spenden reichen.

Kartoffeln klauben, Zwangsarbeit und ein Ferienjob
Pressestimme von Volker Ufertinger
Erschienen in:   Starnberger Merkur

Altbürgermeister Knobloch reichert Führung durch Ausstellung „Mausefallen für Dich“ mit eigenen Erinnerungen an.

Im nur noch bis Sonntag aufgebauten Museum auf Zeit hat Altbürgermeister Dr. Ekkehard Knobloch (83) am Mittwoch sehr lebendig von seinen persönlichen Erlebnissen im Gauting der Nachkriegszeit erzählt. 50 Bürger – darunter der Kirchenchor „Chorallen“ – lauschten bei der Exklusiv-Führung gebannt. Er ging der Frage nach: „Wie haben unsere Vorfahren ab 1850 gelebt?“

Die Ausstellung mit Originalstücken wie landwirtschaftlichen Maschinen der Mafaga (Maschinenfabrik Gauting) aus dem reichen Fundus des Unterbrunner Sammlers Hermann Geiger vermittle auch „Weltgeschichte“, so Knobloch. Aus genau diesem Grund bat er sein Publikum um Spenden, denn nur so könne vom „Museum auf Zeit“ auch ein Katalog finanziert werden.

1949 war Knobloch mit seinen drei Geschwistern und den Eltern als Kriegsflüchtlingskind aus Schlesien über Franken nach Gauting gekommen. In einem Behelfsheim im Badviertel sei die Familie damals untergekommen. Das sei nur möglich gewesen, weil ein Chefarzt im Zuge der damaligen Wohnungszwangsbewirtschaftung mit seiner kinderreichen Familie nach Franken gezogen sei. Bei dieser Gelegenheit stellte er auch klar: „Mit Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bin ich nicht verwandt.“

Vor der historischen Karte von 1850 mit den rot markierten Mühlen an der Würm erzählte er von der ehemaligen Pulvermühle bei den heutigen Fischzucht-Quellen, wo es laut Kronprinz Rupprecht im nahen Schloss Leutstetten „laute Explosionen gab“. „Mühsam“ sei einst die Landwirtschaft mit Ochsengespannen auf den steinigen Böden Gautings gewesen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg waren Kartoffelklaubmaschinen auf dem Markt.

Mit Haushaltsgeräten und Mausefallen startete einst die Esslinger Firma Wilhelm Baier in Stockdorf an der Würm. Der heutige Weltkonzern Webasto arbeitete später auch mit 200 Zwangsarbeitern für die deutsche Rüstungsindustrie, so Knobloch. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Baier aber als Erster in den Entschädigungsfonds einbezahlt. Mit dem ersten Corona-Fall in Deutschland habe Webasto nochmals Geschichte geschrieben. Die Apparatebau (AOA) Gauting, gegründet vom legendären „Ochsensepp“ Josef Müller, war „dank guter Verbindungen zu Franz Josef Strauß Zulieferer für den Starfighter, später für den zivilen Airbus“, so Knobloch.

Als Schüler habe er während der Sommerferien in der Papierfabrik von Julius Haerlin gearbeitet, für eine Mark und zwölf Pfennig in der Stunde, erzählte der Altbürgermeister. Angesichts des Originalhotelgeschirrs des Bahnhofshotels erinnerte er daran, dass 1949 – also zur Zeit seiner Ankunft in Gauting – das Bahnhofshotel von Koloniegründer Georg Hilt bereits zur Volksschule umgemodelt worden war. Kurze Zeit davor, in den 1930er-Jahren, arbeiteten im Bahnhofshotel noch 300 Frauen in der damaligen Austria-Tabakfabrik. „Ihr Nachwuchs wurde in der Kinderbewahranstalt von Mallersdorfer Schwestern an der Schlossstraße betreut“, so Knobloch weiter. Nach dem Krieg seien sie ins heutige katholische Kinderhaus an der Reismühler Straße umgesiedelt.

Im Original-Wohnzimmer des Gautinger Bahnhofsvorstehers Singer erinnerte der Altbürgermeister daran, dass die Eisenbahnlinie München- Garmisch mit Königlichem Bahnhof Feldafing 1908 vollends „doppelgleisig“ wurde, „Damals fuhren Fernzüge von Gauting mit dem einzigem Halt Pasing in 20 Minuten bis zum Hauptbahnhof.“ Das waren noch Zeiten.

Haare schneiden auf die alte Art
Pressestimme von Christine Cless-Wesle
Erschienen in:   Starnberger Merkur

Der historische Friseursalon im Bosco hat regen Zulauf.

Ein Frisiertisch aus den 1960er-Jahren, ein Kundenlederstuhl für den Herrn, eine „Neue Illustrierte“ zum Überbrücken der Wartezeit, schummrige Beleuchtung: Im Bosco hat ein historischer Friseursalon quasi Auferstehung gefeiert. „Darf man da denn überhaupt reinkommen?“ fragte eine Besucherin der aktuellen Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt.“ Ja, man durfte.

Im Parterre des Bosco schnitt Friseurmeisterin Gabriele Pfeifhofer nämlich ehrenamtlich Haare – zugunsten des Bosco. „Diese Locken sind von Hans-Georg Krause“, erzählte die Stockdorferin gleich zu Beginn und deutete auf die Locken, die sich am schwarzen Fußboden kringelten: Der Gründer des Gautinger Bosco und Leiter der Ausstellung war einer ihrer ersten Kunden. Auf den Einsatz der historischen Haarschneidemaschine hatte die die Friseurin verzichtet. Denn diese manuell zu bedienende Apparat „geht aufs Handgelenk“, so die langjährige Chefin des Stockdorfer Salons „Gabriele“.

Wie die übrigen Einrichtungsgegenstände stammt auch das Interieur des Friseursalons aus dem reichen Fundus von Hermann Geiger. Der Unterbrunner Heimatforscher und Sammler hat einst die Einrichtung aus dem längst geschlossenen Friseursalon des Pentenrieders Edgar Schuldes übernommen. Im mit Tüten-Stehlampe gemütlich ausgeleuchteten Original-Salon findet sich deshalb eine Original-Metallhaube, ein besticktes Kreuzstichhandtuch mit der Jahreszahl 1878, aber auch ein Werbeplakat für eine „Wasserwelle“ für die Dame.

Ihre verstorbene Mutter Josefa Pöppl habe im Stockdorfer Salon an der Waldstraße 6 noch Kundinnen „jede Woche die Haare onduliert und von Hand einzeln Wasserwellen gelegt“, erzählte Friseurmeisterin Gabriele Pfeifhofer. Vor 46 Jahren habe sie den Stockdorfer Salon dann übernommen, aber vor zwei Jahren aufgegeben.

Ihre Stammkundinnen waren dort die unvergessene bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner, die bekanntlich in Stockdorf lebte, aber auch die Ehefrau von Ministerpräsident Alfons Goppel, berichtete die Zeitzeugin stolz.

„Auch ich war dort Stammkundin“, erzählte Bosco-Besucherin Dorothee Dittmar (70). Sie findet es traurig, dass es „den tollen Laden“ an der Waldstraße in Stockdorf nicht mehr gibt. „Denn das war wie ein Wohnzimmer für uns“, sagte sie und meldete sich gleich spontan für eine kleine Lücke in den eng getakteten Haarschneideterminen am vergangenen Sonntag.

Für die Merkur-Reporterin zückte Friseurmeisterin Gabriele Pfeifhofer lachend die historische Brennschere. Danach schnippelte die Fachfrau kurz und schmerzlos die kaputten Haarspitzen und gab ihr gleich noch einen Tipp mit auf den Weg: Kostengünstige Niveacreme pflege trockenes Haar nämlich perfekt, wie anno dazumal. Nur noch am kommenden Wochenende, jeweils Freitag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr, gibt es kurzfristige Haarschneidetermine im historischen Salon „Gabriele“ gegen eine Spende fürs Bosco. Anmeldung: ausstellung@theaterforum.de.

Zwischen Haube und Brennschere
Pressestimme von Patrizia Steipe
Erschienen in:   Süddeutsche Zeitung - Starnberg

Im Friseursalon auf Zeit im Gautinger Boscp frisiert Gabriele Pfeifhofer im Rahmen einer Ausstellung gegen eine kleine Spende in historischem Ambiente – und miz historischer Lektüre.

Auf einem silberglänzenden Ständer steckt der Aufsatz mit den nach allen Seiten aufgefächerten Röhren. Sie sind mit kleinen Löchern versehen, aus denen heiße Luft auf die Haare strömen kann. Die Ondulierhaube ist der Hingucker im historischen Friseurladen, zu dem sich der hintere Raum im Erdgeschoss des Gautinger Bosco verwandelt hat. Friseurmeisterin Gabriele Pfeifhofer hat selbst nicht mehr mit dem antiken Gerät gearbeitet, welches dabei hilft, aus glatten Haaren eine Lockenpracht zu machen. Aber ihre Mutter, ebenfalls Friseurin, habe es noch benutzt. „An den furchtbaren Geruch kann ich mich noch gut erinnern“, sagt Gabi, wie sie von ihren Kunden genannt wird.

Schonend für das Haar war diese Prozedur keinesfalls, genauso wenig wie das Wellen mit der Brennschere, die in ein kleines Gerät zum Aufheizen gesteckt wurde. Auch für die Hände waren die scharfen Chemikalien vergangener Jahrzehnte, mit denen gefärbt und Dauerwellen gemacht wurden, eine Tortur. „Ich hatte oft blutige Finger“, erinnert sich die Friseurin. Für die Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“, in der das Bosco mit Exponaten aus der Sammlung Geiger an das alte Gauting erinnert, hat der Sammler Teile des ehemaligen Friseursalons Schuldes in Pentenried aufgebaut. Auf einem Podest stehen die uralten Dinge wie der lederbezogene Friseurstuhl aus Holz.

Über die angeschraubte Nackenstütze ist Abreißpapier gespannt. „Das ist viel hygienischer als heute“, lobt Pfeifhofer. Auf dem Frisiertisch liegen allerhand Gerätschaften: Die obligatorischen Rasierpinsel, die Rasierklingen, die an einem Lederband geschärft wurden, Parfumflaschen mit Pumpzerstäuber, und an einem Kleiderständer hängen die weißen Kittel. Auch eine emaillierte Preistafel für die Friseurleistungen gibt es, „leider ohne Preise“, bedauert Gabriele Pfeifhofer.

An der Stirnseite sieht die Einrichtung mit den großen Spiegeln schon ein wenig moderner aus. An den Wänden hängen Fotos, auf denen die Models sorgfältig in Wasserwellen gelegte Frisuren präsentieren. Der Herr trägt Scheitel. „Das ist heute wieder modern“, lacht die Friseurin. Und die Wasserwellen gibt es ebenfalls noch, allerdings eher in Brautfrisuren.

Mit 16 Jahren hat Pfeifhofer ihre Friseurlehre begonnen, mit 21 Jahren den Meister gemacht. Danach stand sie bis zu ihrem Eintritt in die Rente vor zwei Jahren als Chefin in ihrem Stockdorfer Salon „Gabriele“. „Die Mutter hat lange mitgeholfen und der Papa hat die Buchführung gemacht“, erinnert sich Gabriele Pfeifhofer. Aus dem Salon ist heute ihre kleine Wohnung geworden und Haare schneidet sie nur noch bei Freunden oder in der Verwandtschaft. Für die Ausstellung aber ist sie in ihre alte Rolle als Friseurin geschlüpft, um den historischen Friseursalon zu beleben.

Ihre erste Kundin ist Rentnerin Stephanie Loeben-Sprengel. Mit Brennschere, Ondulierhaube, Toupierkamm und Lockenwickler traktiert die Friseurmeisterin allerdings nicht die Haare ihrer Kundin. Historie hin oder her, Gabi schneidet modern. Ihre Kundin kann sich noch gut an frühere Zeiten erinnern, als die Haare hochtoupiert und mit viel Haarspray in Form gehalten wurden. Sie selbst habe gerne Pferdeschwanz getragen, der mit bunten Nylontüchern gebunden wurde. Und als Kind gab es Topfschnitt mit Pony. Geföhnt wurde übrigens mit dem Staubsauger. Ihre Mutter habe dafür einen speziellen Aufsatz gehabt. Heute könne man sich die Frisuren sogar mit KI am Computer in sein Foto einsetzen lassen, sinniert die Gautingerin.

Lektüre gibt es im Friseursalon auf Zeit natürlich auch. Für anspruchsvolle Kunden die Süddeutsche Zeitung vom 6./7. August 1955. 30 Pfennig hat die Wochenendausgabe damals gekostet. „Vorgespräche zur Adenauer-Reise beginnen“ lautet der Aufmacher über eine Reise nach Moskau und es wird auf die Sonderseite aus Anlass des zehnjährigen Gedenkens an die Atombombe auf Hiroshima aufmerksam gemacht. Wer seichtere Kost bevorzugt, kann zur „Neuen Illustrierten“ aus dem Jahr 1957 oder zur „Freundin“ greifen. Hier werden Frauen vor zu viel Arbeit gewarnt, denn dadurch verliere man seine Anziehungskraft auf Männer. Beim Durchblättern stößt man auf Werbung für Corsagen, die zu einer Wespentaille verhelfen, Spitztüten-BHs, Apparaturen, die zu Größenwachstum verhelfen und Kochtipps für Kanapees in Tropfenschalen.

Gabriele Krause ist die letzte Kundin an diesem Tag. Sie lässt sich ihre Haare ein wenig kürzen. In den 70er-Jahren habe sie lange, glatte Haare „bis zum Po“ gehabt. Das sei damals modern gewesen und einen Pony. „Den hat sich Heidi Klum auch wieder machen lassen“, sagt Pfeifhofer. Es kommt eben alles wieder.

Geöffnet ist die Schau Donnerstag, 11. bis Sonntag, 14. April, 14 bis 18 Uhr. Veranstaltungen: Mittwoch, 10. April, 20 Uhr: „Liebesbriefe aus der Papierfabrik“, Lesung mit Gerd Holzheimer und Anna Veit; Donnerstag, 11. April, 19 Uhr: Archäologische Gesellschaft, „Arbeitssituation der Weltkriegsflüchtlinge“. Führungen mit Hermann Geiger: Freitag,12. und Samstag, 13. April, 18 und 19 Uhr; Führung für Sehbehinderte: Samstag, 13. April, 10.30 Uhr. Anmeldung: ausstellung@theaterforum.de.

Nach(t)kritik
Eine Geschichte der Welt in tausend Objekten
Nach(t)kritik von Paul Schäufele

Vier Männer, die direkt in die Kamera schauen, in selbstbewusster Pose, gelassen, lässig. In ihrer Mitte, wie eine gute Freundin, steht eine Melkmaschine. Das Foto ist eines von vielen, das in der Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“ das Kulturhaus Bosco zum Museum auf Zeit werden lässt. Im Nachzeichnen von Arbeits- und Industrialisierungsgeschichte Gautings leistet die Ausstellung etwas Größeres. In den Exponaten spiegelt sich die Geschichte der Moderne ohne Aussparung ihrer Katastrophen wider.

Dass das so funktioniert, liegt an der intelligenten Gestaltung. Unter der Gesamtleitung von Hans-Georg Krause, der das Haus selbstverständlich bis in den letzten Winkel kennt, wird ein Rundgang ermöglicht, der vom Obergeschoss über den Veranstaltungssaal, die Bühne und die Garderoben zurück ins Erdgeschoss führt. Auf dem Weg durchs Bosco machen die Besucherinnen und Besucher eine Reise durch die Zeit, anschaulich durch die bewundernswert vielfältige Sammlung von Hermann Geiger, die den Grundstock des Temporär-Museums bildet, instruktiv durch die sauber recherchierten Texte.

So erfährt man etwa von den Mühlen, die schon im dreizehnten Jahrhundert die Kraft der Würm nutzten, Sägemühlen etwa oder Getreidemühlen. Über die Pulvermühle am Schlossberg heißt es lapidar: „1888 flog die Pulvermühle ein letztes Mal in die Luft.“ Immer wieder wird die Vermittlung der Industriegeschichte aufgelockert durch Fotografien oder kuriose Objekte wie das Würm-Mobil des Künstlers George Frédéric, das in artistischer Verdichtung verschiedene Arten, Wasserkraft zu nutzen, in einem Gegenstand kombiniert.

Da bis Ende des 19. Jahrhunderts die Hälfte der Anwesen in Gauting und Stockdorf mit der Landwirtschaft in Verbindung standen, hat auch landwirtschaftliches Gerät, zumal solches der Maschinenfabrikation Gauting (Mafaga), seinen Platz. Besondere Anschaulichkeit erlangt die Ausstellung durch zahlreiche Geruchsstationen. Wer bislang nicht wusste, wie Landwirtschaft riecht, kann es hier erfahren.

Ebenfalls erfahren kann man vom Alfawerk Gauting, das vor allem Hebetechnik für die Landwirtschaft herstellte, mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft im Zuge des Ersten Weltkriegs aber umdisponieren musste. „Dass man diese Umstellung auf die Rüstungsindustrie einmal dokumentieren kann, darauf sind wir stolz“, sagt Krause und deutet auf ein Foto, das Mitarbeiter des Alfawerks mit Kriegsmaterial zeigt. Ähnliches prägte auch die Firma Webasto. Den Anfang machten Mausefallen und weitere Haushaltsgegenstände, später kamen Fahrradteile und Autoheizungen dazu. Während des Zweiten Weltkriegs mussten Gasmaskenfilter und Radarantennen produziert werden. In der Konkretheit des Objekts und der Überschaubarkeit der Ortsgeschichte wird die Weltgeschichte sichtbar.

Dabei vergisst die Ausstellung die Akteure dieser Weltgeschichte nicht. Von denjenigen, die sich in Arbeitervereinen organisierten bis zu den Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern, die in Gauting vom NS-Regime ausgebeutet wurden. Auch Individuen haben ihren Auftritt, so etwa die Zeitzeugen, deren Interviews zum Beispiel zur Arbeit in der Gautinger Papierfabrik als Videos zu sehen sind. So aber auch der Bahnhofsvorsteher Singer, dessen Wohnzimmer auf der Bosco-Bühne betreten werden kann und das als pars pro toto für den wirtschaftlichen Aufschwung Gautings steht, der mit dem Bau der Bahnverbindung nach München in Gang kam.

„Die Geschichte Gautings wurde vor allem von den Bajuwaren her erzählt oder dann später von den schönen Häusern, der Villenkolonie“, sagt Hans-Georg Krause. Jetzt sei es an der Zeit gewesen, auch einmal die Industriegeschichte zu beleuchten. Das Ergebnis ist inspirierend und ein Grund, zu bedauern, dass dieses Museum nur ein „Museum auf Zeit“ ist. Zumal die Ausstellung mit einer guten Frage endet: Und wie wird die Zukunft der Arbeit? Eine abschließende Antwort ist zwar auch nach Besuch der Ausstellung nicht möglich, doch vor einem so farbenreich gemalten historischen Hintergrund lässt sich klarer darüber nachdenken.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Fr, 05.04.2024 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.