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Veranstaltungsinfo

Mi, 10.04.2024
20.00 Uhr
Ausstellung | Literatur

Eintritt frei

Anmeldung wegen begrenzter Plätze
unter: ausstellung@theaterforum.de

Lesung zur Ausstellung: "Liebesbriefe aus der Papierfabrik"

Ein Stück Sozialgeschichte  aus den Fünfzigerjahren mit Gerd Holzheimer und Anna Veit.

"Es war einmal" – so beginnen Märchen. Und diese Geschichte klingt danach: Es war einmal eine Papierfabrik, die stand in Gauting an der Würm. Und es war einmal ein Arbeiter dieser Fabrik, der schickte eines Tages eine Kontaktanzeige an eine Zeitung. Und er bekam Antwort. Vorsichtig nähern sich die beiden in Briefen einander an, Welten entfernt vom rasanten Mausklick in Kontaktportalen dieser Tage. Mit den natürlich handschriftlichen Briefen entsteht gleichzeitig ein sozialgeschichtlicher Hintergrund, vor dem sich diese Liebesgeschichte in den Fünfzigerjahren entfaltet.

ANNA VEIT stammt aus Niederbayern und studierte an der Musikhochschule München und am Konservatorium Wien. Sie wurde u.a. mit dem 1. Preis des deutschen Bundesgesangswettbewerbs in der Kategorie Chanson ausgezeichnet. Engagiert wurde Anna Veit u.a. von der Volksoper Wien, dem Theater Trier und den Bad Hersfelder Festspielen. Sie kreierte eigene Chanson-Programme und ist am Kontrabass sowie als Sängerin an verschiedenen Projekten beteiligt, so beispielweise in Sondheims NewYorker Inszenierung von "Sweeney Todd" als Lucy und als Teil der Band "Mrs. Zwirbl". Neben der Bühne widmet Anna Veit sich dem Projekt "Zukunftsmusiker" in pädagogischer Mission, arbeitet u.a. für Chöre des Bayerischen Sängerbundes und gründete 2019 zusammen mit Sängerin und Pädagogin Amélie Erhard das SingSpielKombinat LieNa.

 GERD HOLZHEIMER ist Autor, Herausgeber und literarischer Tausendsassa. Er ist regelmäßig im bosco zu Gast und seine Literaturreihen genießen Kultstatus.

 

Zur Ausstellung  "Museum auf Zeit. Mausefallen für Dich - Zigarren für die Welt"
Das Gautinger Kulturhaus bosco verwandelt sich für wenige Tage in ein Museum auf Zeit: Mit Objekten aus der reichhaltigen Sammlung des Unterbrunner Sammlers Hermann Geiger sowie Ergänzungen aus dem Fundus der Firma Webasto, der ehemaligen Austria Tabakregie und dem Archiv der Gemeinde Gauting entsteht eine Reise in die Vergangenheit, in die Frühzeit der Industrialisierung Gautings.

Öffnungszeiten der Ausstellung
Fr 05.04. | Sa 06.04. | So 07.04. | Do 11.04. | Fr 12.04. | Sa, 13.04. | So 14.04.
jeweils von 14:00 - 18:00

Programm zur Ausstellung  "Museum auf Zeit"
Workshop Metallwerkstatt
Sa 06.04.2024 | 14:00 - 18:00 | Eintritt € 12,00 (Kinder), € 20,00 (Erwachsene) | Anmeldung*
Workshop Buchbindewerkstatt So 07.04.2024 | 14:00 - 18:00 | Eintritt € 12,00 (Kinder), € 20,00 (Erwachsene) | Anmeldung*
Vortrag   "Die Zukunft der Arbeit" Di 09.04.2024 | 20:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Lesung  "Liebesbriefe aus der Papierfabrik" Mi 10.04.2024 | 20:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Vortrag  "Arbeitssituation der Weltkriegsflüchtlinge" Do 11.04.2024 | 19:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führungen mit Hermann Geiger Fr 12.04.2024 | 18:00  + 19:00 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führung für blinde und sehbehinderte Gäste Sa 13.04.2024 | 10:30 | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führungen mit Hermann Geiger Sa 13.04.2024 | 18:00  + 19:00  | Eintritt frei |  Anmeldung*
Führung mit Hermann Geiger So 14.04.2024 | 17:45   | Eintritt frei |  Anmeldung*

*Wegen begrenzter Plätze unter: ausstellung@theaterforum.de

 

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Nach(t)kritik
All you need is love
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

„Entschuldigen Sie, verehrte Damen, meinen gestrigen übereilten Brief, den ich in der Bahnhofspost geschrieben habe“, schreibt er an sie, die ihm gerade erst auf seine in der Süddeutschen Zeitung aufgegebene Kontaktanzeige geantwortet hat. „Ich bin Fräulein“, hat sie geschrieben und sie sei in Anstellung, der Herr könne sie besuchen in München, zu klingeln wäre an Tür 1 bei Hoffmann. Es ist das Jahr 1955, der Mann - Franz - lebt in Gauting und arbeitet als Kalanderführer in der dortigen Papierfabrik. Er ist schon über sechzig, lebt bei seiner Schwester, die ihn versorgt und die ihn mehr als einmal darauf hinweist, dass er sich doch verheiraten möge, damit jemand anderes ihr die Arbeit abnehmen kann „Jetzt suche ich eine Hausfrau“, schreibt Franz an Fini, jene Frau, die seine Kontaktanzeige gelesen hat. Es folgt ein beinahe zwei Jahre währender regelmäßiger Briefwechsel, in welchem der Gautinger Arbeiter sich als stilsicher und sogar poetisch erweist: mal verfasst er Gedichte für Fini, mal stellt er fest: „Weil ich eben Tee trinke, wünsche ich auch dir immer eine gute Brotzeit.“ Aber auch Fini, die Frau aus der Stadt, die selber vom Land stammt, verfügt über einen exzellenten Schreibstil.

In einem eigens innerhalb der aktuellen, großartigen Ausstellung zum Gautinger Alltag in den Fünfziger Jahren abgetrennten Auditorium geben Anna Veit und Gerd Holzheimer der sich langsam anbahnenden Gautinger Liebesgeschichte die Stimmen. So wird hör- und erlebbar, wie ein nicht mehr ganz junger Gautinger Arbeiter vor beinahe siebzig Jahren gelebt, gedacht, gefühlt hat und wie dies einer ledigen Münchnerin in ihren frühen Vierzigern ging. Da ist von den regelmäßigen Besuchen Finis in Gauting die Rede („Ich bin gestern gut mit der Bahn wieder heimgekommen“), aber auch von ihren Bedenken („Du bist aber doch viel älter als ich und in deinem Haus ist wenig Platz“). Da wird von Finis Reisen in die ländliche Heimat vor München erzählt und vom getrennt verbrachten Weihnachtsfest mit den jeweiligen Verwandten. Natürlich klingen immer wieder die damals fest in den Köpfen verankerten Rollenbilder an: er freut sich auf das Essen, das sie ihm kochen wird und berichtet, wie erleichtert und doch auch eifersüchtig seine Schwester die sich anbahnende Beziehung betrachtet; sie bittet ihn immer wieder, ihrethalber doch keine Umstände zu machen und mahnt ihn, bei der Arbeit auf sich zu achten.

Auffällig ist, dass hier zwei Menschen aus eher einfachen Verhältnissen ihre Wünsche, Ansichten und auch die Gefühle füreinander in ausgewählte, geschliffene Worte fassen können. Hier schreiben einander zwei Menschen, die das Schreiben als Kommunikationsweg gewohnt sind und regelmäßig betreiben. So ist diese Korrespondenz ein literarisches Kleinod, das gerade bei der großartigen, einfühlsamen Lesung von Anna Veit (die an geeigneten Stellen den einen oder anderen Liebes-Song aus den Fünfzigern von sich selbst am Kontrabass begleitet, zum Besten gibt) seinen Glanz entfalten kann.

Wunderbar ist auch die Geschichte, wie diese Briefe ans Licht der Öffentlichkeit kamen. Er habe sie bei einer Hausauflösung in einer einfachen Pappschachtel entdeckt, berichtet Hermann Geiger, aus dessen Sammlung sich die gesamte Ausstellung speist. Ein Blick auf den Inhalt der Schachtel ließ ihn aufmerken. So trug er den ganzen Karton zu Gerd Holzheimer, der sich seinerseits erinnert: „Es klingelte, ich gehe zur Tür, und da steht der Hermann Geiger, der mir statt eines Grüßgott erklärt, ich solle meinen Goethe wegschmeißen er habe da was Besseres für mich.“

Im Hause Holzheimer entwickelten die Briefe dann ihr Eigenleben. Inge Holzheimer nämlich begann, die in einer Sütterlin-ähnlichen alten Schrift gehaltenen Briefe einen nach dem anderen zu lesen. „Und so kamen die beiden zu uns ins Haus, in die Gegenwart“, erzählt Holzheimer, „mal erzählt mir die Inge: Du, heute hat er nichts zum Essen bekommen, und ein andermal erklärt sie: Heute war was zwischen denen.“ In mühevoller Arbeit hat Inge Holzheimer alle Briefe transskribiert und somit lesbar gemacht. Und Anna Veit und Gerd Holzheimer machten den Gautinger Franz und seine Braut lebendig.

Vielleicht wird ja ein Buch daraus. Das nächste Projekt einer Gautinger Literaturentdeckung jedenfalls steht schon aus: am Ende des Abends berichtete Hermann Geiger von einem ganz besonderen Fund. „Da war hinter einem kleinen baufälligen Häuschen, das ich ausgeräumt habe, ein Plumpsklo und in diesem, neben einem großen Strauß-Plakat, ein Nagel, an dem Hunderte l´Zettel hingen.“ Auf diesen hatte der Abort-Besucher akribisch und mit Datum notiert, was an diesem Tag im Ort geschehen ist und was er sich dabei gedacht hatte. Was für eine Entdeckung an einem wahrhaft kontemplativen Ort.