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Nach(t)kritik

Sa, 20.02.2016
20.00 Uhr

Am Ende war die Gießkanne

Veranstaltung: Martina Eisenreich Quartett: Contes de Lune

Am Ende war nur noch die Gießkanne, Hauptdarstellerin des schönsten Fade Out, das im Bosco jemals zu erleben war: Percussionist Wolfgang Lohmeier hatte noch letzte, sachte verebbende Klopfzeichen auf dem Garteninstrument gegeben, dann war auch er ins Dunkel entschwunden, das die nunmehr stille Bühne einhüllte. Kontrabassist Alex Haas hatte diesen Geniestreich komponiert, der das Bosco-Publikum praktisch zur Nachtruhe bettete – inoffizieller Titel des sanft entschlummernden Stücks: „Liebeslied für eine Gießkanne“. Haas, vielen Konzertbesuchern vom Duo „Unsere Lieblinge“ (mit Stefan Noelle) her ein alter Bekannter und nach eigenen Angaben derzeit bei insgesamt 23(!) verschiedenen Musiker-Formationen mitwirkend, hatte mit seiner Komposition den Schlusspunkt eines Abends gesetzt, der konsequent auf die Variabilität aller beteiligten Instrumente setzte: Die Violinistin Martina Eisenreich, der Gitarrist Christoph Müller, der mit einem halben VW-Bus voller perkussiver Wunderdinge ausgestattete Lohmeier und der Bass-Zauberer Haas haben sich ja nicht zufällig gefunden – alle Vier eint die Experimentierfreude, die Lust am Crossover, der Spaß am Ausreizen der klanglichen Möglichkeiten. Mit dem Programm „Contes de lunes“ (Mondgeschichten) hatte Eisenreich allenfalls ein Stichwort vorgegeben für das, was sich dann tatsächlich gut zweieinhalb Stunden lang abspielte: Zu Gehör gebracht wurden „Stücke“, die mittendrin die Tonart oder auch den Stil wech-seln können und so gar nicht in feste Kategorien passen – es gibt zwar Strukturen, aber diese scheinen nur Anleitungen zu sein für das Verlassen des festen Bodens, auf dem sie gründen. Die hier musikalisch entfachten Stimmungen können sich jäh von meditativ zu enthusiastisch wandeln, ein verhaltener Beginn sich zum rasenden Tempo steigern, die Führung zwischen Geige, Bass, Schlagwerk und Gitarren hin und her gereicht werden wie ein Staffelstab - nichts ist gewiss. Allein Wolfgang Lohmeiers Equipment beeindruckt schwer, auch optisch: Ein aufs Contra-C gestimmtes Paukenfell in drei Metern Höhe, von dem eine Klaviersaite mit Eisenkorpus herabhängt, wirkt wie eines dieser Stelzenwesen aus „Krieg der Welten“ - und bringt sogar ähnlich bedrohliche Geräusche hervor. Dass Martina Eisenreich unter Inanspruchnahme solcher extraterrestrischer Gebilde zuweilen Musik für Horrorfilme komponiert, verwundert da kaum noch. Doch selbst über die bizarrsten Perkussionstiefen wölbt sich noch ihr schöner Geigenton, der manchmal leicht „irisch“ angehaucht ist, manchmal an Sarasate erinnert und dann wieder an Wiener Schrammeln oder Gipsy – einmal gestatten sich die Vier sogar einen Schlenker Richtung Yankeedoodle. Einer der Höhepunkte fiel dabei völlig aus dem Kontext: „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“, mit schluchzender Grammophongeige und Kunstpfeife serviert, trieb einem geradezu Tränen der Rührung in die Augen. Ein anderes Mal meinte man der seidenzarten chinesischen Musik aus einem Ang-Lee-Film zu lauschen. Dann wieder Christoph Müller mit feinen Hall-Effekten auf der Gitarre oder der uneitle Lohmeier mit einer Percussion auf dem eigenen Bierbauch. Oder Martina Eisenreich mit einer „Tin Whistle“, einer kleinen Blechflöte, die angeblich zum Verkaufsschlager geworden ist. Und mitten drin Alex Haas, der Bassisten-Fels in der Brandung, allzeit den Schalk im Nacken und zu jeder Überraschung bereit. „Eigentlich haben wir uns übers TETRIS-Spielen kennengelernt“, flunkert Martina, „wir üben so das Packen und Auffüllen von Lücken für unseren VW-Tourbus.“ Es dürfte in der Tat eng werden, wenn vier Musiker und ihr Tonmischer und all die Instrumente in den Bus sollen. Und am Ende ist da ja auch noch diese Gießkanne.

Thomas Lochte, 21.02.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 20.02.2016 | © Werner Gruban