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Nach(t)kritik

Fr, 20.01.2017
20.00 Uhr

Auf dem Weg zur Whatsapp-Gruppe

Veranstaltung: Frank Lüdecke: "Über die Verhältnisse"

Am Ende seines mittlerweile dritten Gastspiels im bosco muss Frank Lüdecke irgendwie das Gefühl beschlichen haben, er müsse noch „etwas gutmachen“: Der längst mit allen bedeutenden Kabarett-Preisen ausgezeichnete Berliner hängt als Zugaben drei Lieder an, die u.a. schon beim letzten Programm „Schnee von gestern“ (2014) gefeierte Nummern waren – das Gautinger Publikum freut sich auch diesmal, und dass der sympathische Gast bei seinem taufrischen Programm „Über die Verhältnisse“ ein paar Hänger und Mühen hatte: geschenkt! Erst zum dritten Mal steht Lüdecke damit auf einer Live-Bühne,nach Tauberbischofsheim und Erlangen nun also Gauting. Lüdecke hat früher auch schon mal in Kopenhagen getestet, da steht die Würmtalgemeinde in einer durchaus mondänen Reihe. Und als ob wir schon amerikanische Zustände hätten, startet „Über die Verhältnisse“ mit einer Stimme aus dem Off, die sich wie ein gesprochener Beipackzettel für Kabarett anhört: Zu den Risiken und Nebenwirkungen politischer Inkorrektheit, aber auch zu gendermäßigen Fallstricken und zum ordnungsgemäßen Umgang mit auszuschaltenden Handys wird man da gleich mal instruiert – schließlich ist die Welt inzwischen noch ein wenig absurder als beim letzten Mal.

Lüdeckes Problem sind diesmal aber gar nicht so sehr die Hänger, die er mit seinem „analogen Teleprompter“, also einem aufgeklappten Text-Ordner, weitgehend in den Griff kriegt: Das Problem sind vielmehr die üblichen „Geburtswehen“ eines neuen, vom Timing her noch nicht „flutschenden“ Programms. Die einzelnen Elemente greifen noch nicht so recht ineinander, wie sie es vielleicht sollten. Die Pointen wiederum, sprachlich ausgefeilt wie eh und je, sie wirken an diesem Abend noch wie Inseln, fremdeln ein bisschen miteinander. Thematische Überleitungen gelingen noch nicht geschmeidig, das Tempo leidet. Lüdecke spürt das natürlich, und er macht das Beste draus, schöpft sogar ungeplante Momente aus diesem Schlingern: Die an Reihe 1 gerichtete Frage, ob der Mann dort ein Handy habe, soll eigentlich eine Betrachtung über die Twitter-Unkultur einläuten, doch sie gehört erst in den zweiten Teil des Programms und muss vertagt werden, als Lüdecke seinen „Holzweg“ bemerkt. Die Leute sind dem beliebten Gast aber keineswegs gram, sie schätzen seinen offenen Umgang mit der kleinen Formkrise und danken mit viel Applaus. Und schön tagesaktuell ist er ja auch noch: Die Vereidigung eines Donald Trump vom selben Tage dient ihm als Steilvorlage, das heraufziehende Zeitalter der geistigen Finsternis schön ironisch zu umkreisen: „Ich finde, die Kinder sollten auch dann noch Deutsch können, wenn sie die Schule verlassen!“ Ja, so ist das, wenn sich die eigene Familie "auf dem Weg zur Whatsapp-Gruppe" befindet.

Natürlich ist Frank Lüdecke ein Kabarettist der Alten Schule: Beklagt den Niedergang humanistischer Bildung, macht einen Witz über den nicht gebauten Berliner Flughafen, legt den Finger auf die schwärenden Wunden sozialer Ungerechtigkeit. Mit seinen 55 Jahren wird er dem großen Dieter Hildebrandt äußerlich immer ähnlicher, ohne sein Wiedergänger sein zu wollen: „Ich bin für die 68er zu jung und für die Digital Natives zu alt“, stellt er klar. Die Generation zwischen allen Stühlen, die sich mal „Babyboomer“ nannte und heute „die Unwucht im Rentensystem“ ausmacht? Lüdeckes Charme speist sich nicht zuletzt daraus, dass er ein Stück weit intellektuelle Kapitulation betreibt: Er ist zwar noch immer Welt-Erklärer und Bücherwurm, aber auch schon ein bisschen derjenige, der sich als trotziger Exot in bildungsferner Zeit inszeniert - zum Beispiel mit jenem wirklich witzigen Lied zur (ausgezeichnet gespielten) Gitarre, das von einer längst verflossenen Erotik zwischen belesenen Partnern schwärmt. Auch sein Programmtitel dürfte eine Anspielung auf Brechts „Denn die Verhältnisse, sie sind nicht so“ sein, eine subtile Sehnsucht nach weniger Dummheit und Ungleichheit in der Welt. Und am Ende wieder der Ausblick in Lied-Form auf das angeblich drohende Aussterben der Deutschen: „In the year 2525...“ Vielleicht wäre das ja noch vor den kommenden Wahlen eine Lösung? Lüdecke hatte spätestens da alles wieder gut gemacht, obwohl er das gar nicht musste. Er haderte halt ein wenig mit seiner Tagesform. Höchst sympathisch.

Thomas Lochte, 21.01.2017


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.