Nach(t)kritik
Aus dem Schrank
Veranstaltung: Junges Ensemble Stuttgart: Johannes und MargareteAus dem Schrank
Zwei Menschen, alt inzwischen. Alt auch die spärlichen Möbel in dem kleinen Haus. „Wir haben schon immer hier gewohnt“, sagt Johannes, und Margarethe erklärt: „Johannes, ich bin immer noch so stolz auf dich.“ „Und ich bin stolz auf dich“, antwortet er, „wie du das mit dem Ofen gemacht hast.“ „Aber das kommt erst später“, fällt sie ihm ins Wort.
Eine Geschichte vom Erinnern. Da war mal was, nichts Schönes, eine große Angst. Sie waren noch Kinder, kleine Schwester, großer Bruder, als die Eltern sie im Stich ließen und sie von einem Moment auf den anderen allein zurechtkommen mussten. Allein zurückgelassen im Dunkel des Waldes, bei den wilden Tieren, den unheimlichen Geräuschen. Auf dem alten Schrank im Häuschen steht heute noch das Glas mit den Original Kieselsteinen, 85 Stück, die hatte Johannes damals ausgestreut, und so fanden sie diesmal noch zurück nach Hause. Hänsel, hieß Johannes damals, und Margarethe wurde Gretel gerufen. Bei der nächsten großen Not aber sorgte die Stiefmutter dafür, dass keine Kiesel mehr mitgenommen werden konnten. Diesmal blieben sie tatsächlich muttervaterseelenallein zurück.
Sabine Zeininger und Peter Rinderknecht sind „Johannes und Margarethe“. Das Stück entstand in der Regie von Brigitte Dethier für das Junge Ensemble Stuttgart als Koproduktion mit dem Theater Winterthur und dem „Theater für ein wachsendes Publikum“. In Gauting eröffnet es den diesjährigen Kinderfrühling – ein phantastischer, zirzensischer, mit allen Mitteln des zeitgemäßen Kindertheaters gewaschener Auftakt.
Auf der Bühne steht ein kleines Holzhaus. „Nr. 2“, steht neben der Tür. Und sonst ist erst einmal nichts da, keine Stühle, die Tribünen sind gesperrt. Ein schwarzer Vorhang rahmt das Holzhäuschen ein. Da öffnet sich die Tür, ein Mann mit Blätterhut tritt heraus und sucht ein paar Kinder aus dem wartenden, herumstehenden Publikum aus. „Du kommst mit, und du, und du auch.“ Er nimmt die Kinder mit in das Häuschen, kehrt wieder, holt weitere Kinder. Und noch mehr. „Das reicht“, sagt er irgendwann, als fast nur noch Erwachsene da sind. Aber die dürfen dann auch noch mit hinein. Und dann sitzen alle in der kleinen Stube, die Kinder am Boden, auf Holzbänken die Erwachsenen. Und Johannes und Margarete beginnen zu erzählen. Zu erzählen und zu spielen.
Mal verschwinden sie in dem Schrank, man hört sie drinnen poltern, und dann kommen sie umgezogen wieder heraus und sind jetzt die Kinder, die sie mal waren. Oder der Schrank wird zum Knusperhäuschen, das die Kinder nach ihrem Umherirren im Wald schließlich finden. Eine Blechdose geht herum mit Lebkuchen darin. „Das reicht ja nie“, fürchtet Margarethe, und Johannes sagt: „Siehst du, darum wollte ich eben auch nicht alle hereinlassen.“ Es reicht dann aber wundersamerweise doch für alle in der kleinen Stube, genau wie der Platz. Und als dann der Schrank zum Stall wird, in dem Hänsel eingesperrt wird, wieder und wieder sein ganzes Erwachsenenleben lang, und als der Schrank die Hexe ausspuckt, die so zottelig unheimlich quer durchs Dunkel schießt, dass Margarethe vor Angst nicht weiß wohin, ihr ganzes Erwachsenenleben lang – da entpuppt sich die kleine Stube zur Asservatenkammer der ganzen weggesperrten und vielleicht niemals zu bewältigenden Ängste. All diese tief im Innern schlummernden Ängste, die ich höchstens für eine bestimmte Zeit lang bannen lassen. Für die Dauer einer Erzählung lang.
Dies war ein ganz anderes „Hänsel und Gretel“, und trotzdem war das Märchen da, und die Kinder im Publikum kamen auf ihre Kosten. Schließlich waren sie zu einem Fest geladen, einem „Fest für Mutige“, wie der Untertitel lautet. Und Mut, sich die eigenen Ängste einzugestehen – das ließ sich von Johannes und Margarethe wirklich lernen.
Eine Geschichte vom Erinnern. Da war mal was, nichts Schönes, eine große Angst. Sie waren noch Kinder, kleine Schwester, großer Bruder, als die Eltern sie im Stich ließen und sie von einem Moment auf den anderen allein zurechtkommen mussten. Allein zurückgelassen im Dunkel des Waldes, bei den wilden Tieren, den unheimlichen Geräuschen. Auf dem alten Schrank im Häuschen steht heute noch das Glas mit den Original Kieselsteinen, 85 Stück, die hatte Johannes damals ausgestreut, und so fanden sie diesmal noch zurück nach Hause. Hänsel, hieß Johannes damals, und Margarethe wurde Gretel gerufen. Bei der nächsten großen Not aber sorgte die Stiefmutter dafür, dass keine Kiesel mehr mitgenommen werden konnten. Diesmal blieben sie tatsächlich muttervaterseelenallein zurück.
Sabine Zeininger und Peter Rinderknecht sind „Johannes und Margarethe“. Das Stück entstand in der Regie von Brigitte Dethier für das Junge Ensemble Stuttgart als Koproduktion mit dem Theater Winterthur und dem „Theater für ein wachsendes Publikum“. In Gauting eröffnet es den diesjährigen Kinderfrühling – ein phantastischer, zirzensischer, mit allen Mitteln des zeitgemäßen Kindertheaters gewaschener Auftakt.
Auf der Bühne steht ein kleines Holzhaus. „Nr. 2“, steht neben der Tür. Und sonst ist erst einmal nichts da, keine Stühle, die Tribünen sind gesperrt. Ein schwarzer Vorhang rahmt das Holzhäuschen ein. Da öffnet sich die Tür, ein Mann mit Blätterhut tritt heraus und sucht ein paar Kinder aus dem wartenden, herumstehenden Publikum aus. „Du kommst mit, und du, und du auch.“ Er nimmt die Kinder mit in das Häuschen, kehrt wieder, holt weitere Kinder. Und noch mehr. „Das reicht“, sagt er irgendwann, als fast nur noch Erwachsene da sind. Aber die dürfen dann auch noch mit hinein. Und dann sitzen alle in der kleinen Stube, die Kinder am Boden, auf Holzbänken die Erwachsenen. Und Johannes und Margarete beginnen zu erzählen. Zu erzählen und zu spielen.
Mal verschwinden sie in dem Schrank, man hört sie drinnen poltern, und dann kommen sie umgezogen wieder heraus und sind jetzt die Kinder, die sie mal waren. Oder der Schrank wird zum Knusperhäuschen, das die Kinder nach ihrem Umherirren im Wald schließlich finden. Eine Blechdose geht herum mit Lebkuchen darin. „Das reicht ja nie“, fürchtet Margarethe, und Johannes sagt: „Siehst du, darum wollte ich eben auch nicht alle hereinlassen.“ Es reicht dann aber wundersamerweise doch für alle in der kleinen Stube, genau wie der Platz. Und als dann der Schrank zum Stall wird, in dem Hänsel eingesperrt wird, wieder und wieder sein ganzes Erwachsenenleben lang, und als der Schrank die Hexe ausspuckt, die so zottelig unheimlich quer durchs Dunkel schießt, dass Margarethe vor Angst nicht weiß wohin, ihr ganzes Erwachsenenleben lang – da entpuppt sich die kleine Stube zur Asservatenkammer der ganzen weggesperrten und vielleicht niemals zu bewältigenden Ängste. All diese tief im Innern schlummernden Ängste, die ich höchstens für eine bestimmte Zeit lang bannen lassen. Für die Dauer einer Erzählung lang.
Dies war ein ganz anderes „Hänsel und Gretel“, und trotzdem war das Märchen da, und die Kinder im Publikum kamen auf ihre Kosten. Schließlich waren sie zu einem Fest geladen, einem „Fest für Mutige“, wie der Untertitel lautet. Und Mut, sich die eigenen Ängste einzugestehen – das ließ sich von Johannes und Margarethe wirklich lernen.
Sabine Zaplin, 05.03.2015
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.