Nach(t)kritik
Ausgedacht und abgedreht
Veranstaltung: Gerd Holzheimer: Das sterbende Schwein - Die abgedrehte KunstkammerDas Abgedrehte ist ja eigentlich das Fertige, also das, was bereits im Kasten ist. Der Kasten ist an diesem Abend die „Kunstkammer“, und fertig – also richtig fertig, im Sinne von wahnwitzig schräg daneben – sind die Geschichten und ihre Erfinder alle, alles fertig Abgedrehte. Es ging um die erdabgewandte Seite der Komik in dieser „3. Kunstkammer“ im Rahmen der Literaturreihe von und mit Gerd Holzheimer. Oder anders gesagt: „Es geht um nix beim Abgedrehten, und darum kommt auch nix raus.“ Soweit der Erfinder dieser Reihe selber.
Doch es kam jede Menge „raus“ an diesem Abend, eine ganze Karawane voller Geschichten, die Rezitatorin Judith Huber mit sichtlicher Freude am Abgedrehten hinreißend vortrug. Das begann mit Kurt Tucholskys berühmter Geschichte „Wie kommen die Löcher in den Käse?“, in der Judith Huber sämtliche Figuren der Geschichte und ganz besonders eindringlich den quengeligen Buben liest, spielt, zelebriert. Das ging weiter mit einem Ausschnitt aus Henry Fieldings „Tom Jones“, der sich hier als ein britischer Taugenichts entpuppt und in dem immer wieder der Autor selber aus dem Buch heraus sich an sein Publikum wendet mit nützlichem Hinweisen wie jenem, man möge zum besseren Verständnis sich sogleich eine Kanne kräftigen Bieres zur Lektüre gönnen. Gleichzeitig mit Fieldings „Tom Jones“ ist der großartige „Tristam Shandy“ von Laurence Sterne entstanden, der womöglich noch etwas abgedrehter und neben der Spur ist als eben „Tom Jones“.
Aber auch der deutschsprachige Raum trägt leidlich zur Möblierung dieser Kunstkammer bei. So hat „Das Wildschwein Veronika“ von Gustav Meyrink eine Laien- Aufführung von Wilhelm Tell mit einem Schuhplattler bereichert – ob dieser unfreiwillig geschah, sei dahingestellt. Und ein katholischer Pfarrer aus dem 18. Jahrhundert namens Anton von Bucher war die Entdeckung des Abends, in seinen Texten wimmelt es bereits von Dada-Vorläufern, dass man meinen könnte, die Kunstkammer des Abgedrehten sei seine ureigene Wohnstatt. „Und ich habe gedacht, Sie hätten sich das ausgedacht“, kommentiert Judith Huber ihre Lesung einer ganz ungeheuren „Schluss-Arie“ von Bucher.
Selbstverständlich bietet aber auch der slawische Literaturraum große Schätze an wahrhaft Abgedrehtem. Dass Bohumil Hrabal hier ein höchst produktiver Lieferant von derlei Geschichten ist, wissen die bosco-Literaturfans schon aus vorangegangenen Reihen. Aber ein nach wie vor als Geheimtipp zu betrachtender „vollkommen Abgedrehter“ ist der russische Schriftsteller Daniil Charms, den – wie Gerd Holzheimer nicht vergisst zu erinnern – dereinst Wolf Euba in die Kammern des bosco einführte. Judith Huber liest ein paar seiner großartigen literarisch-schrägen Miniaturen, beispielsweise jene, in der ein Ich-Erzähler beobachtet, wie sich eine alte Frau zu weit aus dem Fenster beugt, hinausfällt und „zerschellt“, gefolgt von weiteren alten Frauen am Fenster mit dem gleichen Schicksal; schließlich ist es der Ich-Erzähler leid und er geht auf den Markt, „wo angeblich ein Blinder einen gestrickten Schal geschenkt bekommen hat“.
All diese kleinen Absurditäten hält ein roter Faden zusammen: eine fortlaufende Erzählung, in der vier Freunde nach Tanger fliegen, um sich dort einer Künstlerkarawane anzuschließen, die eine Wüstendurchquerung plant. Immer wieder wenden sich Holzheimer und Huber den vier Freunden zu, die ein gewisser Hassan in Tanger in Empfang nimmt, wo dann ein anderer Hassan sie weiterführt, bis es nach einer Reihe von Hassans schließlich einem Träger dieses Namens gelingt, die Karawane ausfindig zu machen. Einige Motive der Erzählung geben Anlass zu der Vermutung, dass es sich bei dem Verfasser dieser Geschichte um einen im Würmtal, vermutlich gar in Gauting lebenden Schriftsteller mit einer Vorliebe für das Abgedrehte handelt. „Die Geschichte wurde uns aus dem Orient zugespielt“, kommentiert dagegen Gerd Holzheimer diese Vermutung. Und auch das ist vollkommen abgedreht. Fertig.
Doch es kam jede Menge „raus“ an diesem Abend, eine ganze Karawane voller Geschichten, die Rezitatorin Judith Huber mit sichtlicher Freude am Abgedrehten hinreißend vortrug. Das begann mit Kurt Tucholskys berühmter Geschichte „Wie kommen die Löcher in den Käse?“, in der Judith Huber sämtliche Figuren der Geschichte und ganz besonders eindringlich den quengeligen Buben liest, spielt, zelebriert. Das ging weiter mit einem Ausschnitt aus Henry Fieldings „Tom Jones“, der sich hier als ein britischer Taugenichts entpuppt und in dem immer wieder der Autor selber aus dem Buch heraus sich an sein Publikum wendet mit nützlichem Hinweisen wie jenem, man möge zum besseren Verständnis sich sogleich eine Kanne kräftigen Bieres zur Lektüre gönnen. Gleichzeitig mit Fieldings „Tom Jones“ ist der großartige „Tristam Shandy“ von Laurence Sterne entstanden, der womöglich noch etwas abgedrehter und neben der Spur ist als eben „Tom Jones“.
Aber auch der deutschsprachige Raum trägt leidlich zur Möblierung dieser Kunstkammer bei. So hat „Das Wildschwein Veronika“ von Gustav Meyrink eine Laien- Aufführung von Wilhelm Tell mit einem Schuhplattler bereichert – ob dieser unfreiwillig geschah, sei dahingestellt. Und ein katholischer Pfarrer aus dem 18. Jahrhundert namens Anton von Bucher war die Entdeckung des Abends, in seinen Texten wimmelt es bereits von Dada-Vorläufern, dass man meinen könnte, die Kunstkammer des Abgedrehten sei seine ureigene Wohnstatt. „Und ich habe gedacht, Sie hätten sich das ausgedacht“, kommentiert Judith Huber ihre Lesung einer ganz ungeheuren „Schluss-Arie“ von Bucher.
Selbstverständlich bietet aber auch der slawische Literaturraum große Schätze an wahrhaft Abgedrehtem. Dass Bohumil Hrabal hier ein höchst produktiver Lieferant von derlei Geschichten ist, wissen die bosco-Literaturfans schon aus vorangegangenen Reihen. Aber ein nach wie vor als Geheimtipp zu betrachtender „vollkommen Abgedrehter“ ist der russische Schriftsteller Daniil Charms, den – wie Gerd Holzheimer nicht vergisst zu erinnern – dereinst Wolf Euba in die Kammern des bosco einführte. Judith Huber liest ein paar seiner großartigen literarisch-schrägen Miniaturen, beispielsweise jene, in der ein Ich-Erzähler beobachtet, wie sich eine alte Frau zu weit aus dem Fenster beugt, hinausfällt und „zerschellt“, gefolgt von weiteren alten Frauen am Fenster mit dem gleichen Schicksal; schließlich ist es der Ich-Erzähler leid und er geht auf den Markt, „wo angeblich ein Blinder einen gestrickten Schal geschenkt bekommen hat“.
All diese kleinen Absurditäten hält ein roter Faden zusammen: eine fortlaufende Erzählung, in der vier Freunde nach Tanger fliegen, um sich dort einer Künstlerkarawane anzuschließen, die eine Wüstendurchquerung plant. Immer wieder wenden sich Holzheimer und Huber den vier Freunden zu, die ein gewisser Hassan in Tanger in Empfang nimmt, wo dann ein anderer Hassan sie weiterführt, bis es nach einer Reihe von Hassans schließlich einem Träger dieses Namens gelingt, die Karawane ausfindig zu machen. Einige Motive der Erzählung geben Anlass zu der Vermutung, dass es sich bei dem Verfasser dieser Geschichte um einen im Würmtal, vermutlich gar in Gauting lebenden Schriftsteller mit einer Vorliebe für das Abgedrehte handelt. „Die Geschichte wurde uns aus dem Orient zugespielt“, kommentiert dagegen Gerd Holzheimer diese Vermutung. Und auch das ist vollkommen abgedreht. Fertig.
Sabine Zaplin, 09.12.2015
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.