Nach(t)kritik
Beethovens Totenmaske und die Löcher an der Wand
Veranstaltung: Duo "La Popp" & Gerhard Späth: Entschuldigung, nennen Sie das Musik?Es gibt vermutlich kaum eine Kulturveranstaltung, die stärker an gewisse Konventionen gebunden wäre als ein Klassikkonzert. Das beginnt mit dem Dresscode, setzt sich fort mit der Mimik, den von Fachbegriffen gespickten Pausengesprächen und endet mit der Rotstiftkorrektur der Kritik am nächsten Tag - von den bösen Blicken bei Falschapplaus zwischen den Sätzen einmal abgesehen. Eine „humorfreie Stimmung“ nennt Gerhard Späth die Atmosphäre in deutschen Konzertsälen und vermutet den Grund in der nach wie vor herrschenden Unterscheidung zwischen E- und U-Musik. E steht für Ernst, und das ist absolut wörtlich zu nehmen. Für Autoren, vor allem für jene, die eine gehörige Portion Humor in ihre Tinte zu mischen verstehen, ist dies eine Steilvorlage. „Entschuldigung, nennen Sie das Musik?“ lautet der Titel des literarisch-musikalischen „Heimspiels“ des Duos „La Popp“ zusammen mit Gerhard Späth.
„La Popp“, das sind Eva-Christiane Lassmann, Violoncello, und Claudia Popp, Klavier, die Werke von Gaspar Cassadó und Astor Piazzolla Cellosonaten von Mendelssohn, Beethoven oder Richard Strauss gegenüberstellen und schon auf diese Weise herkömmliche Kategorien außer Kraft setzt. Die von dem ausgebildeten Sänger und heute als Autor und Redakteur beim BR tätigen Gerhard Späth ausgewählten Texte von Heinz Erhard, Patrick Süsskind oder Alfred Polgar setzen einen feinen Kontrapunkt dazu.
So macht sich Polgar beispielsweise Gedanken über die Beweggründe dafür, sich ein Bild des Komponisten Beethoven oder gar eine Kopie von dessen Maske an die Wand zu hängen. Will man auf diese Weise eine schadhafte Stelle überdecken oder von anderen Mängeln im Haushalt ablenken? Heinz Erhard vermutet gar reine Boshaftigkeit hinter solch Wandschmuck, in seinem Gedicht „Beethovens Totenmaske“ leuchtet der Mond dem Komponisten ins nicht zu schließende Auge: „Hilflos ist man und verraten,/wenn man mal gestorben ist.“
So gestimmt, lässt sich der erste Satz der Cellosonate g-Moll Beethovens höchst entspannt und mit einem Lächeln genießen. Umso tiefer geht die einfühlsame Interpretation des Duos „La Popp“, die eine ganze Geschichte jenseits von Wandschmuck und Vervielfältigung erzählen. Oder das temperamentvolle „Requiebros“ des spanischen Cellisten und Komponisten Gaspar Cassadó, das gemeinsam mit Felix Mendelssohn Cellosonate D-Dur (ebenfalls hier der erste Satz) einen lyrischen Bogen flechten um den Auszug aus Patrick Süsskinds „Geschichte vom Herrn Sommer“, in dem es um eine auf eher unappetitliche Weise missglückte Klavierstunde geht.
In der Konfrontation des Humorvoll-Satirischen mit der Interpretation von Musik aus drei Jahrhunderten entsteht ein Programm, das geistreich Vergnügen bereitet. Und das daran erinnert, dass Konzertabende ebenso unterhaltsam sein dürfen wie eine Lesung oder eine Theatervorstellung. Schließlich handelt es sich dabei ja nicht um ein Totengedenken - mögen sich damit die Liebhaber der Beethovenschen Totenmaske täglich konfrontieren.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.