Nach(t)kritik
Begnadet
Veranstaltung: 6. Gautinger Bluesnacht: Austrian Blues All Stars feat. Tommie Harris | Erik Trauner solo (Ersatztermin)Im ersten Teil der 6.Gautinger Bluesnacht durfte man sich fühlen wie in einem Wiener Beisl, sagen-wir-mal im Bezirk Ottakring, zu später Stunde: Auf der Bühne, mutterseelenallein, der Blues-Gott Erik Trauner. Im Publikum einige ältere Herren mit Rauschebärten und Harley-Kutten, die Krücken griffbereit, Käppis auf dem schütter gewordenen Haupthaar, gegen die Kälte. Auf dem Tisch halb geleerte Bierflaschen und oben der Zeremonienmeister ihres Lebensgefühls. So weit die Szene im Kopf - die Wirklichkeit aber spielte sich im bosco ab, und es waren auch deutlich mehr Frauen im Publikum als Kuttenträger. Heuer ist es 45 Jahre her, dass der erwähnte Priester mit der jaulenden Slide-Gitarre die „Mojo Blues Band“ gegründet hat, und doch zeigt dieser Mann mit dem Strohhut noch immer allen anderen, was eine Harke bzw. eine Harp ist: Mit 16, also Mitte der Siebziger, habe er sein musikalisches Erweckungserlebnis gehabt, erzählt Trauner zwischendrin und meint Bluesmusik im Radio. Über einen Lehrer, der dem Knaben und dessen Flausen offenbar deutlich ablehnend gegenüberstand, sagt er nur: „Er hat Gottseidank nicht erlebt, dass ich Musiker geworden bin!“
Ja, da ist dem Mann wirklich was entgangen. Fast ein halbes Jahrhundert später schafft es der einst vom Radio Erleuchtete nämlich, dass ein voller bosco-Saal (inklusive der Rauschebartträger) eine Dreiviertelstunde lang ehrfürchtig den Atem anhält, um keinen einzigen Ton zu verpassen. Trauner ist als Bluesgitarrist das, was man als „begnadet“ bezeichnen sollte, und wenn er sich Amazing Grace, ursprünglich ein geistliches Werk aus Schottland, vornimmt und daraus eine Art Gebet mit Gitarre macht, dann steht einem vor Staunen schlicht der Mund offen: „Für mich die schönste Melodie aller Zeiten“, erklärt Trauner seine inbrünstige Hinwendung an dieses eine Lied – und vor lauter Andächtigkeit vergisst man als Zuhörer in diesem Moment beinah, dass er zuvor schon Muddy Waters´ Can´t Be Satisfied durch seine Interpretation geadelt hatte. Eine derartige Präsenz – nur ein Mann mit seinem musikalischen Handwerkszeug – erlebt man halt nur noch selten.
Doch eigentlich ist Trauner ja vor allem Teamplayer. Dass von seiner 2001 schon einmal kurzzeitig aufgelösten Band an diesem bosco-Abend auch zwei alte Weggefährten mit von der Partie sind (Drummer Peter Müller und Bassist Daniel Gugolz), kommentiert er auf typisch Wienerische Art: „Mir ham uns eigentlich guat vastandn auf da Herfoahrt“. Im zweiten Teil des Abends sollten sich die unter „Austrian Blues Allstars“ Versammelten dann noch viel besser verstehen: Komplettiert durch Hannes Kasehs (git), den Piano-Champion (und Organisator der Bluesnacht) Ludwig Seuss und eine weitere Blues-Legende, den US-Amerikaner Tommie Harris (voc), machten insgesamt sechs Musiker vor allem der Spielart des „Chicago Blues“ an diesem Abend alle Ehre – mit Harris kam dann aber auch noch die dunklere Note aus der Region New Orleans hinzu: Wie ein schwarzer Reverend bei der Sonntagspredigt trägt der Sänger mit der väterlichen Aura seine „Talking Blues“-Nummern vor, hebt immer wieder mahnend den Finger und wendet sich mit eindringlicher Stimme an alle leichtsinnigen jungen Männer dieser Welt, auf dass sie ihr heimisches Glück nicht aufs Spiel setzen mögen.
Im steten Wechsel spielten die „Allstars“ langsame und schnelle Nummern, nachdenkliche und mitreißende. „Bad Man“, ein Country Blues mit einem großartig schmachtenden Hannes Kasehs, kochte das Publikum zu Beginn des zweiten Teils gleich mal weich, danach ging es wieder in die Vollen, Richtung Chicago. Jeder bekam immer wieder seinen Leading part, durfte sich austoben. Einmal schnappte sich Trauner sogar mitten im Stück die Gitarre von Kasehs, um mit dieser ein ganz besonderes Solo zu zaubern. Die Texte all dieser Blues-Spielarten drehen sich im Grunde um ein paar wesentliche, immer gleiche Dinge: wahlweise treulose Frauen und Männer, die Verzweiflung vor allem der Macker, wenn sie Mist gebaut haben und verlassen wurden; dann gibt es noch das anscheinend zeitlose Phänomen, dass ältere Typen auf viel zu junge Mädchen stehen – und dann entweder Sweet Sixteen als langsamen Blues singen müssen oder einen auf Good Daddy zu machen versuchen – beide Songs unnachahmlich vorgetragen von Tommie Harris, dem weisen schwarzen Mann, der offenbar alles schon erlebt hat.
Am Ende und als einzige Zugabe dann noch das vor guter Laune nur so sprudelnde Klassiker Flip, Flop and Fly und stehende Ovationen. Man war auf der Reise von Ottakring längst in den Südstaaten angekommen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.