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Nach(t)kritik

Do, 07.02.2019
20.00 Uhr

Beim Aufgang des Mondes

Veranstaltung: Franziska Bronnen & Diogenes Quartett: Czernowitz - Die Stadt, in der Menschen und Bücher lebten

Es war bei einer Abendgesellschaft in Czernowitz, zwischen den beiden Weltkriegen - zu jener Zeit, als „die Stadt, in der Menschen und Bücher lebten“, noch den Geist von Kultur und Weltoffenheit atmete. Freunde der Eltern von Edith Silbermann, damals noch Horowitz - hatten eingeladen, und unter den Gästen war ein gewisser Paul Antschel mit seinen Eltern. Die jungen Leute freundeten sich an, Paul besuchte Edith, und manchmal, wenn er spät noch Einlass begehrte, pfiff er unter ihrem Fenster die Melodie des französischen Kinderliedes, „Au Claire de la lune“.

Das Motiv dieses Schlafliedes findet sich in dem 3. Streichquartett, das der Komponist Pierre-Dominique Ponnelle Edith Silbermann gewidmet hat. Er hat sie häufig in Düsseldorf, ihrem späteren Wohnort, getroffen und ihr zugehört, wenn sie aus ihrem Leben erzählte. Geschichten aus jenem Czernowitz, das alle, die sich für Literatur begeistern, sofort mit Schriftstellernamen wie Rose Ausländer, Aharon Appelfeld oder Gregor von Rezzori verbinden. Oder - allen voran - mit Paul Celan, der als Paul Antschel geboren wurde und der seinen Namen erst, in rumänischer Schreibweise, in Ancel änderte und dieses dann in Celan.

Das 3. Streichquartett von Ponnelle wird zum Angelpunkt an diesem Abend, an dem die Schauspielerin Franziska Bronnen das Publikum mitnimmt in die Stadt am Pruth, „wo die Hunde die Namen olympischer Götter tragen“ und die herumlaufenden Hühner „Hölderlinverse in den Boden kratzen“ - wie Georg Heinzen schreibt. Gespielt vom Diogenes-Quartett (bestehend aus Stefan Kirpal, Violine; Gundula Kirpal, Violine; Alba Gonzales I Becerra, Viola; und Stephen Ristau, Violoncello), lässt es Czernowitz zu einem musikalischen Erlebnis werden, das einen großen Bogen schlägt über die lange, ebenso eindrucksvoll kulturelle wie tragische Geschichte dieser Stadt.

Wer sich alles in diese hineingeschrieben hat, davon erzählen die literarischen Zeugnisse, die Franziska Bronnen vorträgt. Einen Schwerpunkt bilden dabei die Erinnerungen von Edith Silbermann, Erinnerungen an die noch unbeschwerten Jugendjahre und die damals beginnende Freundschaft mit Paul Celan. Und Erinnerungen an ein spätes Wiedersehen mit dem Jugendfreund, im Jahr 1964. Die Zeit des Nationalsozialismus, der Verfolgung, der Lager und KZ liegt dazwischen, sie hat sich eingegraben in Clans Gestalt, in sein Gesicht. Gleichzeitig ist er da längst ein bekannter, mehrfach ausgezeichneter Dichter. Als Edith sein Konterfei eines Tages im Fernsehen sieht, denkt sie erst, er habe wieder einen Preis bekommen. Doch es handelt sich um die Nachricht seines Freitodes.

Auch das ist Czernowitz: Stadt der Trauer, der untergegangenen jüdischen Kultur, der verklungenen Verse und Geschichten. Eine versunkene Stadt. Welche Namen die Hunde heute tragen, ob die Hühner noch heute Hölderlinverse in den Boden kratzen, ob es überhaupt noch Hühner dort gibt - wer weiß das schon genau. 

Für einen Abend immerhin ist Czernowitz wieder lebendig geworden, im Zusammenspiel von Musik und Wort, im Dialog von Franziska Bronnen, dem Diogenes-Quartett und dem Komponisten Pierre-Dominoque Ponnelle. Bis der Mond aufging.

Sabine Zaplin, 07.02.2019


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 07.02.2019 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.