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Nach(t)kritik

Do, 06.04.2017
20.00 Uhr

Blindschleiche reloaded

Veranstaltung: Thomas Darchinger: A Gmade Wiesn - ein Bavarical

„Die Zeiten sind schwer und verwirrend“, sagt Thomas Darchinger an einer Stelle seines „Bavaricals“. Damit hat der gebürtige Neuburger zweifellos recht: „A gmade Wiesn“ ist das Leben schon lang nicht mehr, wie es der Titel seiner musikalisch-textlichen Heimatsuche verspricht – es ist eher voller Unkraut. Ein Mitt-Fünfziger wie er ist nun allem Anschein nach wütend darauf, dass die Jugend endgültig vorbei sein soll und damit auch die Poesie kracherter Besäufnisse in lauen Nächten. Glaubt man der Weichzeichnung Darchingers, dann gehörten diese Zeiten Ende der sechziger bis Ende der siebziger Jahre ausschließlich den Buben und späteren Halbstarken vom Ammersee, mit Blindschleichen-Suche am Anfang und brünftigen Aufrissen am Ende. Selbst das Gschwerl aus München trübte noch nicht allzu sehr die Dorf-Idylle, und „Weiber“ waren halt nichts anderes als Sexualobjekte. Subtext, trotz geläuterten Rückblicks: Hund´ war ma scho! Das mag alles auch so passiert sein zwischen Weßling und Herrsching, nur ob man´s noch mal detail-freudig nachbeten muss, ist eine andere Frage.

Darchinger holt sich für seine Reminiszenzen allerlei Kronzeugen und vermeintliche Seelenverwandte in sein „Bavarical“: Er lässt den deftigen Georg Queri und seine Gschichten vom Fensterln zu Wort kommen, den Soziotop-Schriftsteller Friedrich Ani, den kauzigen Philosophen Karl Valentin, den Otti Fischer und die Sache von der Metzgerlehre, die der Vater dem Vegetarier-Sohn einst aufgezwungen hat; aus all dem Nachschmecken der verlorenen Jugend könnte nun wie bei z.B. Wolfgang Ambros eine Balance aus Zartem und Verklärtem, aus Grobem und Nüchternem erwachsen, eine Art weiser Resignation, doch Darchinger entscheidet sich überwiegend für die plumpe Wut: Grantelt nicht nur, womöglich mit feinen Zwischentönen, sondern schwadroniert drauflos wie eine rechte Gerade. Der unsägliche Bierzelt-Befüller Harry G. lässt an dieser Stelle zumindest grüßen - auch der bringt latenten Fremdenhass in seinen angeblich nur preußenfeindlichen Tiraden unter. Vielleicht hat Darchinger das ja selber gespürt, so dass er in der „Ave Maria“-Nummer (leicht abgekupfert wiederum von Hans Well und den Biermösln) gebetsmühlenartig den Chorus bringt: „Wir lieben euch trotzdem!“ Da wäre sie ja doch noch, die Liberalitas Bavariae, die angeblich so tolerant ist.

Die Crux des „Bavaricals“ bei Darchinger ist, dass das Derbe eindeutig die Oberhand gewinnt bzw. das Sagen hat: An einem Text von Gerhard Polt ist das besonders schmerzhaft zu erleben – wo im Vortrag dem Original gemäß Nuancierungen und Doppelbödigkeiten sein müssten, herrscht beim Epigonen nur noch flache Ebene bzw. wirklich „gmade Wiesn“, dabei ist Thomas Darchinger Schauspieler und ein guter Text-Rezitator. Seine beiden musikalischen Begleiter (Trompeter Xaver Himpsl fehlte diesmal) machen ihre Sache an Schlagzeug und Alphorn (Ludwig Himpsl) bzw. Gitarre und Geige (Luis Maria Hölzl) ordentlich, können die Schieflage zwischen Text und Musik aber auch nicht ganz retten. Persönliche Erinnerungen an die „oidn Späzln“ aus Kindertagen (Anton G. Leitner und Franz Czasny waren hier wohl die Augenzeugen) oder an den „verstorbenen Gitarristen“ (vermutlich war von Bonzo Keil die Rede), sie verblassen hinter Darchingers irrlichternder Wut auf die Moderne genauso wie die Brüche, die er zweifellos erlebt hat. So gerät das Ganze eher zu einer männlich-sentimentalen Beweihräucherung eines Bayernlands, das es so schon lange nicht mehr gibt, auch nicht zwischen Weßling und Breitbrunn. Weismachen kann man die Story vom verlorenen Paradies vielleicht noch den verhassten, tümelnden  „Teilzeitlederhosenträgern“ aus dem Norden. Man kann als Zugabe auch „Forever young“ singen und sich irgendwie à la Konstantin Wecker alt und gereift fühlen. Man kann aber auch (war´s der Karl Valentin?) sagen: „Wenn ich mich so freuen tät, wie ich mich ärgere, dann wär ich schon zufrieden...“ Thomas Lochte

Thomas Lochte, 06.04.2017


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 06.04.2017 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting