Nach(t)kritik
Brexit
Veranstaltung: Nick Woodland: Meister der Blues-GitarreDie Zeiten sind nicht unbedingt besser geworden seit Nick Woodlands letztem Auftritt im Bosco vor fünf Jahren: Nick, der Wahlmünchner mit Londoner Wurzeln, muss sich wegen des drohenden „Brexit“ neuerdings mit der Frage herumschlagen, ob er nicht lieber die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen sollte. Der Anarchist in ihm stellt nun prompt Überlegungen an, die vom britischen Guy-Fawkes-Day am 5.November inspiriert wurden: „Man sollte vielleicht noch mal versuchen, das Parlament in die Luft zu jagen?“, sinniert der Mann mit dem Zylinder zwischen zwei Songs, eher er sich wieder seiner Musik zuwendet. Ein Rebell ist Woodland wohl schon immer gewesen, er kann sogar schön auf Bairisch granteln, wenn´s sein muss, schließlich ist er seit fünf Jahrzehnten auch an der Isar zu Hause. Vom sogenannten Establishment in der Musikindustrie und dessen ganzem Pomp grenzt er sich gerne ab und stellt dann schon mal klar: „Wir sind nicht die Rolling Stones, so arbeiten wir nicht – wir arbeiten ohne Feuerwerk!“
Mit „Wir“ meinte Nick im Bosco jene Formation, mit der zusammen er schon 2014 den Laden aufgemischt hatte: Tom Peschel am Bass, Manfred Mildenberger an den Drums und Klaus Reichardt an Keyboards, Organ und Pedal Steel, Letzteres eine äußerst vielseitige Instrumentenart für Leute, die gerne im Sitzen jaulenden Gitarrensound produzieren – der Zither-Manä bekäme wahrscheinlich feuchte Träume, wenn er diese klanglichen Möglichkeiten hätte. Beim 2019er-Gig in Gauting ging mit dieser Truppe jedenfalls die Post ab wie eh und je, obwohl sie laut Woodland lange nicht zusammen gespielt hatte: Nicks musikalische Prägung speist sich hörbar aus der Quelle Buddy Holly, dessen Drive und Harmoniefolgen. Nicks eher dunkle Stimme gesellt sich zu einem ungemein geschmeidigen, optisch höchst lässigen Gitarren-Stil, den ihm so schnell keiner nachmacht. Wenn die vorwärts treibenden, nach Aufbruch schmeckenden Rhythm & Blues-Nummern an der Reihe sind, fügt sich alles so wunderbar ein, als wären die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre gerade erst ein paar Wochen her – Kommentar Woodland: „Wir sind altmodisch, wir machen CDs.“ Im Bosco entfachten diese „Fab Four“ mit untrüglichem Gespür eine Stimmung, die die Leute berührte oder auch zum Tanzen brachte: Kurze, knackige Balladen wie „The Waiting Game“ oder das von den ganz großen Gefühlen erzählende „She´s The One“ entzünden einfach ein Lagerfeuer in den Herzen, da kann der Zuhörer auch bei einer nicht minder großartigen Nummer wie „Before The Rain“ und den dortigen Kältegraden seelisch überwintern. Woodland & Co bewegen sich manchmal im typisch wippenden J.J.Cale-Modus („What You Gonna Do?“), dann erinnern sie wieder, in langsamerer Gangart, an „Them“. In jedem Fall lösen sie innere Echos aus, die einem fast das Herz sprengen, wenn man alt genug ist, sich an bestimmte Momente der eigenen Jugend zu erinnern.
Woodland ist, man muss das so sagen, ein begnadeter Gitarrist: Ihm gelingen wie keinem Zweiten ausgedehnte, entfesselte Interludes, die urplötzlich in zarteste, zurückhaltende Fadeouts münden können – die ganze Bandbreite von Empfindungen in einem Stück. Und wie vertraut und eingespielt das alles daherkommt bei diesen vier Meistern ihres Fachs: Einmal gibt Klaus Reichardt an der Orgel so lange und auch so gut das nachahmende „Echo“ des Gitarrenparts, bis Nick dem Klaus seinen stets aktiven Stinkefinger zeigt – alles im Spaß, versteht sich. Die Songs bei Woodland haben jenseits des Hörgenusses häufig auch eine klare soziale und politische Botschaft – gegen Krieg, gegen die skrupellosen Geldmacher und Abstauber auf der Welt, gegen Dummheit überhaupt. Da lässt er sogar das Publikum die Zeile mitsingen „Somebody in Switzerland is making a lot of money...“ An Großkopferten wie dem FC Bayern kann er sich zwischendrin genauso abarbeiten und ihnen die nächste Niederlage gegen Dortmund prophezeien. Und für die Polizei hat Nick, der ewig Tourende ohne Führerschein, notfalls nicht etwa einen ausgestreckten Finger parat (der wäre hierzulande kostenpflichtig), sondern gleich zwei, in V-Form. Bedeutet das Gleiche, schaut aber nach „Victory“ aus. Die Anarchie, sie schläft niemals ganz. Im zweiten Teil des Konzerts gesellt sich als Special Guest der Blues- und (Zydeco-)Boogie-Musiker Ludwig Seuss samt Akkordeon zur Mannschaft, und Woodland darf zur fetzigen gemeinsamen Louisiana-Nummer „Je t´ai dis“ noch ein wenig Französisch parlieren. Der Saal tobt, Standing Ovations. Nick, der Mann mit dem Zylinder auf dem Kopf und der Ausstrahlung eines eigenwilligen Hohepriesters, beschließt den triumphalen Bosco-Abend dann aber mit „Time Stands Still“, einem leisen, wundervollen Innehalten beim Betrachten nächtlicher Sterne am Himmel. Die Zeiten könnten wieder besser werden.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.