Nach(t)kritik
Brustlöser
Veranstaltung: John Garner: Heartbeat TourEin Konzert wie eine einzige große Umarmung: „Scheiße, ist das schön!“ ruft Sängerin Lisa Seifert dem nicht minder enthusiastischen bosco-Publikum zu, das nach langer, langer Zeit zum ersten Mal wieder einen Live-Abend erleben darf. Und der sechsköpfigen Folkband „John Garner“ aus Augsburg quillt schier das Herz über, das ist vom ersten Ton an zu spüren: Endlich wieder vor leibhaftigen Menschen auftreten, endlich wieder ein echtes Feedback! Lisa ist so ergriffen, dass sie zwischenzeitlich um ihr Make-up fürchtet und vorsorglich wissen lässt: „Wir haben die Emotionen heute nicht im Griff!“ Absolut passend zu ihrer „Heartbeat Tour“ sprudeln also die Gefühle nur so über, und ebenso brustlösend ist dann der treibende Sound dieser 2014 von Stefan Krause gegründeten, ab 2016 zunächst als Trio spielenden Truppe: Inzwischen ist „John Garner“ zu fünft oder als Sixpack unterwegs. Balladenartige, mehrstimmige Vocals von großer, strahlender Kraft sind zu seinem Markenzeichen geworden, und das ist natürlich kein Zufall. Krause war schon 2009 vom Deutschen Rock- & Popverband zum „besten Rocksänger Deutschlands“ gewählt worden – quasi der Grundstein für alles, was noch folgen sollte.
Zum Beispiel 2019 der Triumph in der ProSieben Sendung „My Hit. Your Song“, bei der „John Garner“ 25.000 Euro abräumten. Da waren neben Stefan Krause (Leadvocals, Akustikgitarre) längst auch Lisa Seifert mit ihrer tragenden Stimme, Chris Sauer als dritter Sänger (auch noch mit herrlich dahintrottender Mandoline, Gitarre und Foot Shaker), Bassist Carlo Gruber, Drummer Nick Herrmann (auch E-Piano) und Felix Bönigk (E-Gitarre) mit an Bord. Gemeinsam ist ihnen allen die Leidenschaft für eine Musikrichtung, die nah am Herzen siedelt und zuweilen so bewegend irish daherkommt, dass man sofort das nächste Guinness oder einen Flug nach Cork ordern möchte. Alle Songs haben mit höchst persönlichen Geschichten der Bandmitglieder zu tun, ob es nun um eine verflossene Liebe geht („Killer Of My Mind“), um unverbrüchliche Freundschaft, um Bodenständigkeit („We Came Back Home“) oder um den Aufbruch zu neuen Ufern („My Heart Is Ready“). Der Bandname wurde in Gauting übrigens nicht näher erläutert. Womöglich ist er eine Hommage an den 2015 verstorbenen US-Rocksänger John Garner, aber das spielte an diesem irgendwie als Post-Corona-Abend empfundenen fulminanten Gastspiel keine Rolle: Was zählte, war der unbedingt mitreißende Schwung, die durchweg warmherzige, geradezu überwältigende Ausstrahlung dieser Musiker, die sich vom Start weg – ausgehungert wie sie waren - derart verausgabten, dass Stefan (mit irischem Käppi) nach den ersten kraftraubenden Gesangsnummern ganz un-irisch bald nach einem „Sauerstoffzelt“ fragte.
„John Garner“, nach eigenen Angaben normaler Weise mit über hundert Konzerten im Jahr beschäftigt, hatten vor der ersehnten Rückkehr auf die Bühne nur eine einzige Probe absolviert und waren laut Krause „a bissl nervös“ vor dem Revival. Doch das war gleich wie weggeblasen, als die Augsburger loslegten – es war, für die Musiker ebenso wie für die rund 80 zugelassenen Konzertbesucher, eine Art Befreiung, ein berührendes Wiedererweckungserlebnis: Endlich wieder Freude verströmen dürfen, endlich wieder Applaus ernten, sich ausdrücken können, unter Leuten sein, als Künstler ein Gegenüber spüren. Es war der denkbar beste Brustlöser für alle, die dabei sein konnten. Man atmete danach irgendwie freier, trotz des miesen Wetters. Es war ein Ereignis, ein großes „Endlich“ nach dunkler Zeit.
Übrigens, wer´s verpasst hat: „John Garner“ haben am 5.Juni in Augsburg ein Heimspiel samt Live Stream.
Thomas Lochte
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.