Nach(t)kritik
Das Ende ist nah(les)!
Veranstaltung: Matthias Deutschmann: Wie sagen wir´s dem VolkJa, es ist „Groko-mäßig kalt geworden in Deutschland“, stellt Matthias Deutschmann gleich zu Beginn des bosco-Abends fest. Dazu passend rieselt vor den Saalfenstern leise der März-Schnee, und der aus seiner Freiburger Heimatstadt andere Temperaturen gewohnte Kabarettist scheint seelisch ein wenig zu frösteln. Deutschmann spricht von all den Kleinmütigen und Verzagten, die gerade das vierte Kapitel des Merkel´schen Zeitalters eingeläutet haben, und bringt es auf den Nenner: „Das Ende ist nah(les)!“ Einer, der nach eigener Aussage 38 Jahre Kabarett auf dem Buckel hat und seine ersten Pointen einst für den großen Sammy Drechsel (einstiger Haus-Autor und Regisseur der „Münchner Lach und Schießgesellschaft“) fabriziert hat, hat natürlich ein Elefanten-Gedächtnis, das weit vor dem personifizierten Ausverkauf der SPD ansetzt: Deutschmann kennt aus dem Werbefernsehen der siebziger Jahre noch den Begriff „Lenor-Gewissen“ und schreibt ihn der ewigen Kanzlerin und ihrer weichgespülten Politik zu. Sein Europa-Verständnis ist nicht von Mario Draghi geprägt, sondern von Kulenkampffs Quizsendung „EWG - Einer wird gewinnen“ sowie von Camillo Felgen und „Spiel ohne Grenzen“, Zeiten also, in denen sich die Ländermannschaften gegenseitig nur mit Wasser und Seife nass gemacht haben. Ein Bühnen-Dinosaurier wie Matthias Deutschmann, Jahrgang 1958, kann noch die Zustände der alten Bundesrepublik buchstabieren und wirkt deshalb so wohltuend weise, wenn er sich mit den Aufgeregtheiten der Moderne befassen muss.
„Wie sagen wir´s dem Volk?“ heißt sein Programm an diesem politisch-winterlichen Abend, der sich notgedrungen wohl nur mit intellektuellem Spott und gelegentlich eingestreuten „Emmanuelle“-Tönen auf dem „Berlusconi-Cello“ ertragen lässt. „Wir alle denken das Gleiche, nur ich kann´s auswendig“, sagt der aus den Katastrophen der Welt Honig saugende Polit-Kabarettist, dem gleichwohl „die alte Republik“ abhanden gekommen ist. Die durch Größen wie Helmut Kohl „ganze Scharen arbeitsloser Lehrer zum Kabarett gebracht“ hatte; die noch Diskurs auf höherem Niveau geboten haben muss als das Internet, diese „offene Form der geschlossenen Anstalt“, wie Deutschmann ätzt. Ist da einer gar heimatlos geworden in der Ära von „Fack ju Göhte 3“? Bei Altkanzler Schmidt, soviel stand fest, „war in einem einzigen Lungenzug mehr drin als in einem ganzen SPD-Parteitag“. Ja, da fröstelt jemand ganz ordentlich, auch wenn seine Kämpfernatur davon berichten kann, „dass wir in Freiburg mit 25.000 Demonstranten gegen Pegida Prophylaxe betrieben haben – wir dulden keine Ablagerungen!“ Deutschmanns Wachsamkeit ist geradezu ansteckend, auch wenn sie sich hinter sanftem Hohn verbirgt: „Wir müssen lernen, Politiker zu verstehen, wenn sie argumentieren“, sagt er mit Pädagogen-Miene, um im nächsten Moment schon wieder über AfD-Höcke zu lästern: „Björn – so kann man ein Bücherregal nennen, aber doch nicht den künftigen Reichsmeinungsführer!“
„Deutschmann“ könnte beinahe selber der Programmtitel sein: Ein Beobachter der Zeit-läufte, der sich als „Europäer durch und durch“ bezeichnet und sich doch seit Jahrzehnten vor allem an der einheimischen Politiker-Kaste abarbeitet. Der nur in Schwarz auftritt und „in stark katholischen Gemeinden schon öfter für einen Monsignore gehalten wurde“, es dann aber beim Segnen bewenden ließ. Der aber auch deutsche Panzer-Deals mit Saudiarabien auf dem Schirm hat und den „Brexit“-Irrsinn und „den Liebhabern der Atlantik-Brücke“ allerhand Peinliches über die USA erzählen kann. Einer, der irgendiwie der ukrainischen Krim und dem Krim-Sekt nachtrauert und sich dennoch als „russophil“ sieht. Der über „Russia today“, also den aktuellen Zustand des Neo-Zarenreichs sagt: „Jelzin war das postsowjetische Delirium, Putin ist die Entziehungskur.“ All dies ist eine Geschichtsstunde auf höchstem Niveau, keine Sekunde langweilig und bei aller Ironie zugleich immer auch informativ. Den auf dem rechten Auge seltsam blinden thüringischen Verfassungsschutz „völkischen Beobachter“ zu nennen, das ist treffsicher gebündelte Wortkraft. Und wenn Deutschmann die Bibel pseudowissenschaftlich in der Version 2.0 nachbetet, dann klingt das so: „...und das Volk begann zu murren und fing an, einen Kalbskopf mit einer goldenen Tolle anzubeten....“ Schöner ist US-Bashing nie gewesen. Dann noch auf dem Cello die „Dschihad-Etüde“ als Deutschlandhymne mit Migrationshintergrund, und alles ist irgendwie wieder im Lot auf dem west-östlichen Diwan. Das müsste sogar „Jan Böhmermann, der kleine Scheißer“ und 2017 klar Führende im Politiker-Beleidigen, neidlos anerkennen. So subtil sagen wir´s dem Volk!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.