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Nach(t)kritik

Do, 19.03.2015
20:00 Uhr

Das fehlende Ventil am Dampfkochtopf

Veranstaltung: Stefan Zinner: "Wilde Zeiten"
Wenn hier jetzt steht: „Der Abend mit Stefan Zinner war so richtig entspannend“, dann könnte das auch falsch verstanden werden. Die nicht dabei waren, könnten glauben, es habe sich um pure Unterhaltung gehandelt, womöglich gar um weichspülendes Entertainment im Fernsehformat. Um diesem Irrglauben gleich vorzubeugen: das Programm „Wilde Zeiten“ von Stefan Zinner war auf eine Weise entspannend, wie es nur ein einziges Wort auszudrücken vermag – Rock´n Roll. Ergänzende Beschreibung bietet ein anderes Wort: Blues. Zwischen Blues und Rock´n Roll ließ dieser Abend sich nieder wie eine Gruppe von Freunden auf einer Wiese bei Nacht, vielleicht mit Bier, bestimmt mit Gitarre und mit dem Besten, was das Land zwischen Isar und Lech zu bieten hat: leben und leben lassen.

„Nachgeben können“, heißt ein Song, den Stefan Zinner im bosco vorstellte, und die Geschichte hinter diesem Lied bringt am besten auf den Punkt, worum es diesem Kabarettisten geht. Geschrieben hat er es für einen Porsche-Cayenne-Fahrer, der ihn im Altstadt-Tunnel von rechts über den Grünstreifen vor die Kühlerhaube grätschte und sich dann noch mokierte, warum Zinner in seinem Sharan ihm keine Vorfahrt ließ. „Da muss man mal nachgeben können“, singt der immer noch von so viel Dreistigkeit Verblüffte und weiß noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele. Denn immer mehr Bewohner der bayrischen Landeshauptstadt erinnern ihn an den Dampfkochtopf seiner Mutter, nur, dass der Kochtopf noch ein Ventil besaß zum Luft-Ablassen. „Dieses Ventil haben die nicht, die an der Ampel stehen und alles weghupen, was nicht sofort bei Grün losfährt.“

Als Gegenmittel hat Zinner die sanfte Revolte entworfen. Es erst mal in Ruhe Grün werden lassen an der Ampel und dann ganz entspannt losfahren. In der U-Bahn unter all den Kopfhörerträgern einfach mal laut „Welcome to heartlight“ singen, aber möglichst zu hoch anfangen. Pfeifen, vor allem, wenn man es überhaupt nicht kann. Und immer wieder Blues spielen. „Blues heilt, das fängt schon bei dem allerersten Riff an“, sagt Zinner und macht es gleich vor. Spielt einen Blues, dass der ganze Tagesärger vom Publikum abfällt und man am liebsten die Füße auf den Tisch legen möchte. Okay, das wäre dann die ganz ganz sanfte Revolte, aber helfen würde sie auch.
Drei Gitarren stehen auf der Bühne, und sie kommen weit mehr zum Einsatz, als man das hier sonst von Kabarettabenden kennt. Zinner versteht nicht nur was von Blues oder Rock, er hat seine Songs auch mit richtig guten Texten ausgestattet. Gleich zu Beginn singt er von den Superkräften eines Superman, die er gern hätte, um sie gegen die Dampfkochtopftypen einzusetzen, doch „Träume sind Gift für´s Leben am Gartenzaun“. Oder für den Urlaub auf dem Campingplatz. Campen in Carrara ist fast schon ein Sinnbild für ein Leben am Gartenzaun – Heringe einschlagen in einen Boden, der gerade nicht für eine besonders weiche Bodenbeschaffenheit berühmt ist, und dann am nächsten Morgen in das genervte Gesicht des Sohnes blicken, der einen ganz großen Kummer hat: kein W-LAN.

Stefan Zinner ist gelernter Schauspieler. Sein Handwerk hat er auf der Zerboni-Schule erworben, und als Absolvent derselben hat er natürlich eine besondere Beziehung zu Gauting. Dass er sich auf der Bühne des bosco wohlfühlt, ist immer wieder zu merken, bis hin zum ausgedehnten Zugabenblock. Hier mündet die sanfte Revolte schließlich in ein nachdenkenswertes Szenario: während nämlich in den Edelstahlcafés der Landeshauptstadt die Ventillosen ihren Latte Macchiato schlürfen und auf den nächsten Termin beim Hundehomöopathen warten, hocken in den Kellern unter den Cafés jene beisammen, die den Blues auf Bayerisch singen und auf den Moment warten, an dem sie hinaufkommen und dafür sorgen, dass aus München wieder Minga wird. Keep on rockin`!
Sabine Zaplin, 19.03.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 19.03.2015 | © Alle Fotos: Werner Gruban