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Nach(t)kritik

Di, 14.02.2017
20.00 Uhr

Das Leben eine Fremde

Veranstaltung: Kulunka Teatro Spanien: André & Dorine

„Mit der Krankheit nahm er die Unmöglichkeit, sich geborgen zu fühlen, an den Fußsohlen mit“, schreibt Arno Geiger in seinem Buch über den an Alzheimer erkrankten Vater, „Der alte König in seinem Exil“. Es ist diese Heimatlosigkeit, die zu den tragischsten Aspekten dieser Krankheit gehört. Die Welt ist fremd geworden, der Boden unter den Füßen fort - was bleibt, ist ein unstillbares Heimweh. 

Das Heimweh ist das Bild an der Wand, das Dorine fortnimmt, weil es sein Versprechen eines Zuhauses nicht mehr halten kann. Das Heimweh klingt im hauchdünnen Bogenstrich an, der dem Cello keine Töne mehr entlockt, weil Dorine mit der hölzernen Seite streicht. Verkehrte Welt. In dem fremden Zuhause sind die Türen vertauscht, wird die Einkaufstasche zum Hut und das Gesicht des Ehemanns zur erschreckenden Fratze. Dorine ist im Exil.

„André & Dorine“ von und mit dem Kulunka Teatro aus Spanien ist eine Ballade vom Abschied, ein Maskenspiel von Liebe und Tod. Kein Wort wird an diesem Abend gesprochen, die Geschichte des alten Ehepaares, des früheren Liebespaares erzählt sich in einem Reigen aus Bildern. Die beiden Alten in ihrem gewohnten Alltag, André an der Schreibmaschine, in die er Seite um Seite hackt; Dorine, die ihr Cello bearbeitet, dem Klackklackklack der Schreibmaschinentastatur zum Trotz. Ein Streit unter Eheleuten aus Tastengehämmer und Saitenstreichen. Es klingelt, der Sohn kommt zu Besuch, der Vater will ihm stolz das Manuskript zeigen, die Mutter hat einen rot gemusterten Pulli für ihn gekauft, der Sohn will weder das eine noch das andere und lässt sich vom Blick aufs Handy wieder aus der Wohnung ziehen. Wieder klingelt es, wieder kommt der Sohn zu Besuch, und diesmal hat Dorine das Kittelkleid falsch geknöpft. Beim nächsten Besuch erkennt sie den Sohn nicht mehr. Währenddessen erinnert André sich an die Frau, in die er sich verliebt hat: die berühmte Cellistin, von der er sich ein Autogramm ertrotzt - und weil sein Stift versagt, unterschreibt sie mit ihrem Lippenstift; die freche Dorine, die ihn in seiner Junggesellenbude aufsucht und sich sofort in sein Manuskript verliebt; das Bett mit den Utensilien seines ganzen Lebens, in dem sie ihr Kind zeugen. All das erinnert André, und die Zuschauer sehen es in Rückblenden, die sich in den Szenenreigen einfügen wie kleine Perlen. 

Es braucht keine Worte in diesem Spiel. Den Part der Sprache übernehmen die Masken, übernimmt das Maskenspiel. Sie zeichnen die beiden Alten, ihre tiefen, vom Leben in die Gesichter gegrabenen Falten, die weißen Haare Andrés, die farblosen Strähnen Dorines. In den Rückblende sind es Masken glatter Gesichter und doch eindeutig André und Dorine, es ist ihre freche Stubsnase, seine lange Mähne. Die Geschichte einer Liebe, eines gemeinsamen Lebens. Dorine verliert immer mehr davon, gerät immer tiefer hinein in die Fremde im Innern ihres Kopfes. André ist hilflos, manchmal wütend - seine Gesten kennzeichnen ihn als den am Ufer Zurückbleibenden, während Dorine davontreibt. Ihre Gestik ist die einer vollkommen Machtlosen. Und doch gibt es die raren Momente, in denen diese beiden wieder zueinander finden.

Die Bühne sei der Ort, an dem sich die verschiedenen Künste begegnen, lautet die Philosophie des Kulunka Teatro - und die Masken dienen als Brücke in eine andere Welt, wo eine Poesie des Liebenswerten zuhause ist. „André & Dorine“ erzählt von dieser Poesie und entführt in eine Welt, wo das Erzählen die Geschichte eines Lebens bewahrt und damit zur Heimat werden kann. Für die Dauer eines Bogenstrichs zumindest.

Sabine Zaplin, 14.02.2017


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Di, 14.02.2017 | © Copyright Werner Gruban - Theaterforum Gauting