Nach(t)kritik
Das Leben ist eben so
Veranstaltung: Metropoltheater München: Der gute Tod - Wannie de Wijn„Mit dem Tod habe ich nichts zu tun“, sagt Bernhard irgendwann an diesem Abend, „der Tod ist eure Sache. Meine ist das Sterben.“
Bernhard muss sterben. Vermutlich wird es sehr qualvoll sein, der Arzt spricht von Ersticken, dazu kommen höllische Schmerzen. Bernhard hat Lungenkrebs, Endstadium. Es gibt nichts mehr zu machen dagegen. Aber Bernhard will etwas machen, will nicht von Schmerzmitteln betäubt, von Erstickungsängsten verrückt sein. Will dabei sein, wenn er stirbt. Um neun Uhr soll es sein. Dann ist er, der Nachtmensch, am Ende seiner Nacht angekommen. Dann wird er sich verabschieden, das Mittel nehmen, einschlafen. Kurz darauf wird sein Herz aufhören zu schlagen.
„Der gute Tod“, heißt das Theaterstück des niederländischen Autors, Schauspielers und Regisseurs Wannie de Wijn, mit dem das Metropoltheater München die neue Spielzeit im bosco von Seiten des Schauspiels eröffnet. Es ist eine Zumutung, im besten Sinne des Wortes: Regisseur Jochen Schölch und sein Ensemble muten dem Publikum die Auseinandersetzung mit diesem höchst schwierigen Thema zu, trauen es ihm zu. Niemand wird entlassen aus der Frage: wie will ich sterben? Eine Frage, hinter der immer zugleich auch diese steht: wie will ich leben?
Das Leben hatte für Bernhard einige Aufgaben, die sich als ungelöst erweisen in dem Moment, als seine Familie am Vorabend seines selbst gewählten Sterbezeitpunkts eintrifft. Da ist Hannah, seine Geliebte: Lilly Forgách zeigt ihre melancholische, die Entscheidung des Lebensgefährten akzeptierende Haltung, hinter der eine eigene Schmerzerfahrung stecken mag oder auch die bittere Erkenntnis, dass Selbstbestimmung immer teuer erkauft ist. Da ist Michael, Bernhards jüngerer Bruder, einst war Hannah mit ihm zusammen: Christoph von Friedel spielt einen überaktiven, immer auf Hochtouren laufenden Businesstypen, der seine eigene Verletzlichkeit hinter coolen Sprüchen und Sticheleien zu verbergen sucht. Da ist Bernhards Tochter Sam, von Sophie Rogall als zum Teil mit der Situation überforderte, zum Teil pragmatisch, dann wieder verzweifelt reagierende junge Frau gespielt, die vor allem um die verpassten Gesprächsgelegenheiten trauert. Da ist der Freund und Arzt, Robert, den Nikolaus Frei in seine fachliche Kompetenz und ethische Überzeugung fliehen lässt wie in einen Schutzmantel, der die eigenen Gefühle von der Haut fernhält. Und da ist Sebastian Griegel als Bernhards jüngster, autistischer Bruder Ruben: ein trauriger, von Michael vorgeführter, von Robert kleingehaltener, von Sam ernst genommener Wal, der als einziger mit diesem besonderen Sterben umgehen kann und der auch den Tod am ehesten versteht.
Und da ist Bernhard selber, den Butz Buse in fortgeschrittenem Krankheitszustand sehr glaubwürdig letzte Kräfte mobilisieren lässt, so dass in Antlitz und Auftreten des Siechen noch der sein Leben vor der Krankheit achtlos dahinlaufen lassende Zeitverschwender durchscheint - eine Ehe ist ihm missglückt, ein Bruder verloren gegangen, eine Tochter beinahe durchgerutscht. Vieles hat Buses Bernhard wohl auf später verschoben, so wie die gut versteckte Flasche eines besonders teuren Single Malt Whisky, die für besondere Gelegenheiten aufgehoben wurde und die von Bruder Michael gleich zu Beginn des Abends geköpft wird.
Es ist ein extrem dichtes Kammerspiel, was Schölch und seine Schauspieler auf die leicht angeschrägte Wohnzimmerbühne von Thomas Flach stellen, Realismus mit Abstechern ins Absurde, stets so genau die Waage zwischen Distanz und Nähe haltend, dass jeder im Saal sich positionieren muss, und zwar zum Tod genauso wie zum Sterben. Vor allem aber zum Leben. „Ich wollte noch so viel mit dir besprechen“, sagt Tochter Sami irgendwann, „das geht jetzt alles nicht mehr“. Und der vollkommen erschöpfte Bernhard antwortet: „Das ist schon in Ordnung so, das Leben ist eben so.“ Es endet, dieses Leben. So viel ist nun mal klar. Über das Wie dieses Endes nachzudenken, ist womöglich der Sinn des Lebens.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.