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Nach(t)kritik

So, 10.03.2024
20.00 Uhr

Das Leben ist kein Ponyschlecken

Veranstaltung: Rolf Miller: Wenn nicht wann, dann jetzt!

Im T-Shirt und mit kurzer Hose betritt Rolf Miller die Bühne und setzt sich breitbeinig auf den dort bereits auf ihn wartenden Stuhl. So gut ginge es ihm noch nie, berichtet er, sowohl privat als auch daheim. Und sofort beginnen die Alltagsbeobachtungen aus ihm herauszusprudeln, wobei sich der ganz spezielle Blick seiner Figur auf deren Umwelt in scharfen Beobachtungen, eigensinnigen Überlegungen dazu und schließlich abstrusen Schlussfolgerungen offenbart. Dabei verlieren sich die Sätze und Überlegungen von Rolf Millers Figur oft im Nichts, er redet elliptisch, stammelt Halbsätze, folgt Assoziationen. Teil davon sind auch die konsequent falsch zusammengesetzten Sprichwörter, mit denen er seinen Beobachtungen und Feststellungen humorvoll Ausdruck verleiht und die das gespielte Halbwissen und die Lächerlichkeit der eigenen Figur gekonnt unterstreichen.

Das Programm reicht dabei von Feststellungen über Fußball und Handball über die Bengalkatze der Nachbarn, die er konsequent als Bengalokatze bezeichnet, bis hin zum Struwelpeter als perfekte Kinderlektüre. Die Sicht der Figur auf all diese Themen ist dabei stets ignorant, sich selbst als unbeteiligten und über den Dingen stehenden Beobachter profilierend und vermeintlich abgeklärt, ohne das eigene Misslingen zu bemerken. So entstehen herrliche Beobachtungen über beispielsweise den neuen A6, dessen Windschutzscheibe im Display sitzt, mit welchen Qualitäten man heutzutage einen „Hochstuhl an der Uni“ ergattert und über die Unmöglichkeit des Genderns, „dieses mitten im Satz eine Pause lassen (lange Pause), ich weiß gar nicht wie das geht.“ Besonders schön auch die Feststellung über Nancy Faesers Tragen der One-Love-Armbinde bei der WM 2022, „deutsche Außenpolitik mit Armbinde - ein ganz schmaler Spagat.“

Rolf Millers Figur ist gekonnt gezeichnet, bräsig sitzt sie auf dem Stuhl und verhandelt privates wie weltpolitisches ganz nebenbei, ohne sich selbst dabei einzubeziehen oder gar die eigene Beteiligung und das eigene Versagen festzustellen. Damit hält Rolf Miller dem Publikum und der Gesellschaft gewitzt den Spiegel vor und parodiert einen Großteil momentan laufender Debatten und die diese Debatten führenden selbsternannten Expert:innen. Gleichzeitig streift dadurch das Programm neben all den klugen Beobachtungen automatisch auch alle schon längst bekannten und vielfach verhandelten Themengebiete, die in der ständigen Wiederholung vorhersehbar und abgenutzt wirken; wieder einmal halten umweltpolitische Themen samt Klimaaktivist:innen und die Grünen für aufgebrauchte Pointen her, Frauen werden anhand ihres Aussehens bewertet und eingeordnet und sensible Themen wie häusliche Gewalt und Suizid verkommen zu lächerlich gemachten Szenarien, um Pointen auszudehnen.

Vielleicht ist Rolf Millers Figur zu konsequent auserzählt und es fehlt an einer Demaskierung außerhalb der Ironie der gesamten Inszenierung, ein kontrastierendes Moment, um die Figur dekonstruieren zu können, denn so wirkt es manchmal, als würde sich der Künstler die Möglichkeit vorbehalten, sich hinter der Ironie verstecken können. Vielleicht ist aber auch gerade das die hohe Kunst von Rolf Miller, mit der konsequenten Selbstironie auch ein gewisses Verlangen im Publikum zu evozieren, seine Figur in ihrer Selbstüberzeugung und -gefälligkeit herausfordern und scheitern sehen zu wollen, ertappt man sich doch selbst unangenehm immer wieder dabei, Teile von Bekannten und letztendlich auch von sich selbst in seiner Figur wiederzufinden. Fast neidet man Rolf Millers Figur am Schluss ihren engen Horizont, hinter dem sich doch alle komplizierten  und unlösbar erscheinenden Probleme unserer Gegenwart so leicht verstecken und verdrängen lassen. Denn „bald kommt der Atomkrieg und dann gehen wir sowieso alle drauf - ganz CO2-neutral.“

 

Amos Ostermeier, 11.03.2024


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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