Nach(t)kritik
Déjà-vu der Ausgrenzungen
Veranstaltung: Han’s Klaffl: Nachschlag! Eh ich es vergesse …„Diesmal geht’s gar nicht so richtig um Schule“, sagte eine Zuschauerin in der Pause und deutete an, dass die zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer im Publikum jetzt ein wenig enttäuscht in ihren Aperol Spritz blicken würden. Tatsächlich ist der Name Han´s Klaffl - nur echt mit dem Apostroph im Vornamen - so etwas wie ein Versprechen auf zweieinhalb Stunden Spaß rund ums Schulhaus. Doch im inzwischen vierten Programm des ehemaligen Lehrers und Kabarettisten stand ein Phänomen im Zentrum, das viele schon aus alter Gewohnheit nicht sofort mit dem Thema Pädagogik, schon gar nicht mit der eigenen Schulzeit in Verbindung bringen: das Vergessen oder der Umgang mit schwindenden und bleibenden Erinnerungen.
„Nachschlag! Eh ich es vergesse…“, lautete der Titel des Abends, und es begann gleich mit einem Paradebeispiel des Vergessens, das vermutlich allen im Saal bekannt vorkam: dem des Blank Dastehen. Eben noch war der Gedanke, das Vorhaben noch deutlich im Kopf, und einen Moment später ist da nichts mehr. Da hilft nur, an jenen Ort zurückzugehen, an dem der Gedanke entstanden war. In Klaffls Fall war das die Garderobe. Also zurückgehen, sich erinnern, wiederkommen - das Grundmotiv des Programms war gesetzt. Und spätestens im zweiten Teil wurde dann auch den anwesenden Lehrerinnen und Lehrern klar, wie viel das Vergessen mit dem Thema Schule zu tun hat. Doch dazu später mehr.
Zunächst erinnerte Han´s Klaffl sich, ganz altersgemäß, ausgiebig und mit großer Liebe zu wunderbaren Details an die eigene Schulzeit. Erinnerte sich an eine Kindheit ohne Sicherheitsgurt oder Fahrradhelm - „Ein Helm wäre schon noch da gewesen damals…“ - und vor allem ohne Aufsicht. Niemand hatte sich Sorgen gemacht, wenn die Kinder bis Einbruch der Dunkelheit auf Feld, Wald und Flur unterwegs waren. Heute macht sich der sich Erinnernde beinahe schon Vorwürfe, dass er seine Eltern auf dieses Versäumnis nicht aufmerksam gemacht hat: „Vielleicht hätte ich sie bitten sollen, mitzukommen und aufzupassen, dass nichts passiert.“
Damals kursierten, erzählt von den Erwachsenen, eine Reihe von Witzen, in denen es zunächst um Juden ging, später um Flüchtlinge. Gemeint waren die aus ihrer Heimat Vertriebenen, gesprochen wurde das Wort im Bayerischen mit einem gehauchten „p“ vor dem großen „F“, damit die nötige Distanz gleich klar wurde: „Bei uns war die Fremdenfeindlichkeit schon in den vielen Konsonanten angelegt.“ Heute kommen dem Alternden, Vergesslichen bei diesen Witzen durchaus Déja-Vus.
Déja-vus entstehen auch bei der Erinnerung an die Mitschülerinnen und Mitschüler seiner Kindheit, die nicht so ganz dazugehörten und deren Religion vor allem nicht hierhergehörte, nicht hierher passte, so dass sie getrennt von den anderen Kindern im Keller unterrichtet wurden - gemeint waren die Evangelischen. Déja-vus der Ausgrenzung, die auf einmal sehr gegenwärtig werden. Heute funktioniert das etwas subtiler: über die Distanzierung durch political correctness. Wenn von der Bedrohung durch „Stark Pigmentierte“ die Rede ist, dann lässt sich die dahinter stehende Haltung leicht verschleiern: „Wir sind weit gekommen“, stellt Klaffl fest, „wir lassen sie im Mittelmeer ertrinken, aber wir bezeichnen sie korrekt.“
Und dann kam über die Erinnerung doch die Schule ins Programm. Nachdem der Schüler Klaffl schon die Erfahrung gemacht hat, dass Zahlen überschätzt werden - „Zahlen können gar nicht rechnen“ -, stellt der pensionierte Lehrer Klaffl im Rückblick fest, dass wir aus hier weit gekommen sind. Wenn die OECD - bei der das C eben nicht für „Culture“ steht - über ihre Studienparameter in die Lehrpläne eingreift, dann steht das knallharte Interesse des E - Economics - dahinter. So wird aus Bildung lediglich eine zu kurz greifende Ausbildung. Aber das wird sehr gerne vergessen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.