Nach(t)kritik
In den Zaubertrank gefallen
Veranstaltung: Erika Stucky & Knut Jensen: Ping PongEs gibt Auftritte, bei deren Beschreibung der Kritiker um Worte ringen muss, weil er immer noch lieber gebannt den Atem anhalten möchte: Als die Schweizerin Erika Stucky am vergangenen Sonntag erstmals „über das bosco kam“, sagte sie kokett, „beim nächsten Mal wissen Sie dann, was für eine wilde Tante sie erwartet“ und sprach von „Outing in Gauting“. Schon das Intro hatte einem die Sprache verschlagen – Jodellaute und dumpfe Schläge aus dem „Off“ hinter der Zuschauertribüne, als wären ein paar verspätete Perchten von der Basler Fasenacht unterwegs, während ihr Bühnenpartner vorne im Scheinwerferlicht monoton und gesampelt die Ukulele zupfte. Und dann ist sie plötzlich da in voller Pracht, auf dem Kopf einen Kranz aus züngelnden Flammen, die sie später als „Beckenknochen von einem Dachs“ bezeichnen wird. Diese optische Faszination wird beim Betrachter den ganzen Abend lang fortwirken und ihm sagen: Das da vorne muss eine Sonnengöttin sein! Aus dem mit Hall-Effekten verstärkten „Jodeling“ schält sich dann allmählich eine englische Songzeile heraus: „All I really wanna do is making friends with you...“ Erika Stucky kommt also in Frieden, und die Eingeborenen reagieren zunächst mit scheuem Wohlwollen.
Stucky hat vorsorglich ein paar beschwichtigende Worte in heimeligem Schwyzerdütsch parat, ehe es richtig abgeht mit ihrer „Ping Pong“-Performance: „S´isch nöt so schlimm, ich bin eure Stewardess und bring euch heil wieder zruck!“ Und schon geht die wilde Reise durch den Zitaten-Dschungel los, vor Beamer-Projektionen, die auch noch Schattenwürfe der beiden Protagonisten als weitere Spielebene bieten: Stucky oszilliert mit ihrer Vokalakrobatik zwischen „Honolulu Baby“ und innerem Monolog während einer Metro-Fahrt in Paris, der erste Abschnitt ihrer Weltreise war nämlich ein „Red-Eye-Flight“ von San Francisco nach Europa mit wenig Schlaf und vor Charles-Manson-Blicken schützender Sonnenbrille; Knut Jensen serviert dazu mit stoischer Miene ein knappes James-Bond-Zitat. Die Stucky berichtet von ihrer Kindheit in Kalifornien: „Ich hatte Babysitter, die gerade aus Katmandu kamen – eine schöne Zeit mit lauter Erwachsenen, die eigentlich Kinder waren“. Sie sei als Kind gleichsam in den Zaubertrank gefallen wie Obelix und könne deshalb gar nicht anders. Aber warum sich rechtfertigen? Die irgendwie heilig gesalbte Schweizerin mit der unglaublichen Stimme hat nach eigenen Angaben „die ganze Nacht Callas-Videos geguckt“, und zugesehen, „wie sie erklärt, wie sie was macht“. Erika Stucky schaut sich offenbar trotz ihrer originären Qualität Vieles ab, verarbeitet musikalische und manchmal auch nur geräuschmäßige Fundsachen wie ein Staubsauger, lässt Bühnenpartner Knut Jensen dazu als „Bibliothek“ am PC agieren und die Mosaiksteine beisteuern von Cembaloüber Drums bis Gitarrensolo, von Harfe bis Donnerhall.
Es ist nicht weniger als eine Reise durch die neuere Kulturgeschichte, die da vor staunendem Publikum abläuft: Hier ein Fetzen Pink Floyd, dort ein wenig Miriam Makeba und Ali vs. Frazier beim „Rumble in the jungle“ von 1974; Ein Hauch von „Moon River“, eine Zeile „I saw you standing there“ (Beatles), schon geht es wieder weiter zur Elvis-Presley-Version von „Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus“ („Wooden Heart“). Die Stucky erzählt, dass sie inzwischen gerne eine Band bei sich habe, „die mit Handgepäck reist“ - Schluss mit dem ewigen Übergepäck! Offenbar meint sie damit auch den Ballast, der sich bei einem derartigen Menschen ansammelt, der wie das Sternentaler-Mädchen alles aufzufangen scheint, was es gibt. Wir sehen Bilder der Skyline von Shanghai. Es spricht nun wieder die Reiseleitung: „Eine gute Domina sagt immer, wie´s läuft – das mag der Kunde!“ Es folgen sieben als „Songs“ angekündigte Sprach-, Gesangs- und Geräusch-Montagen, vom Cowboy-Jodeling, das man aus ihrem Film „Heimatklänge“ kennt, bis zu fast schon romantischen Duetten mit dem getreuen Jensen. Die akustische Atmosphäre dieser Schätze erinnert mal an „Portishead“ oder Laurie Anderson, mal an den Soundtrack zu „Blue Velvet“. Stucky setzt immer wieder auch ihr kleines Akkordeon (Handörgeli) für diese psychedelischen Unterströmungen ein, streift dann wieder völlig unerwartet „On Broadway“, Bruce Springsteens „Streets of Philadelphia“, womöglich ein Stück eigener musikalischer Heimat. Die Collage aus Video, Musik und Persönlichkeit dieser unvergleichlichen Künstlerin entfacht im Gautinger Publikum an diesem Abend offenbar suggestive Wirkung, lässt es konzentriert schweigen und nicht mal husten - man wird Augen- und Ohrenzeuge eines Wunderwerks, das in der Zugabe noch ein kleines „Extra-Wunder“ bereit hält: „Across the Universe“ von den Beatles, zärtlich intoniert von Erika Stucky, die als Kind in den Zaubertrank gefallen sein muss - als zweite Stimme dazu im Wechsel Jensens Stimme, mit „Queen“. Unfassbar, man ringt um Worte. Thomas Lochte
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.