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Nach(t)kritik

Sa, 13.06.2015
20.00 Uhr

Denis Kozhukhin: Auf dem Weg zum Titanen

Veranstaltung: Denis Kozhukhin: Klassik extra: Klavier
Was hier mit der Haydn-Sonate Nr. 39 D-Dur im Programmheft nach einem behutsamen Einstieg aussah, war mitnichten eine Warmspielrunde. Denis Kozhukhin braucht kein Vortraining, um am Ende bei Prokofjew in Hochform aufzulaufen. Der 29jährige russische Pianist ging gleich mit dem ersten Ton zur Sache. Für die Haydn-Sonate etwas zu kraftvoll, stand doch hier diesmal der Flügel nur wenige Meter vom Publikum entfernt. Umso deutlicher allerdings vernahm man die Präzision im Anschlag, die selbst in den rasantesten Melismen und Läufen makellos daher kam. Mit gewisser Schärfe im Anschlag ließ Kozhukhin bereits zu Beginn erahnen, wohin die Reise ging.
Haydn, Brahms und Rachmaninow vor der Pause passten wohl nur deshalb so gut zusammen, weil die beiden Komponisten jüngerer Zeit in ihren Werken rückgewandt arbeiteten. Bei Brahms waren es die Bach-Studien seiner kompositorischen Frühzeit, die trotz des Kontrastes zum feinziselierten Haydn eine gewisse Homogenität im Zugriff ermöglichten. Die nahezu monumentale Klangfülle des Variationsthemas reicherte Kozhukhin auch mit reichlich barocker, dunkler Substanz an, dass man sich den Satz kaum noch im ursprünglichen Kontext vorstellen konnte. Als langsamen Satz hatte ihn Brahms für sein erstes Streichsextett op. 18 komponiert und auf die Bitte Clara Schumanns hin fürs Klavier eingerichtet. Als Tastenvirtuose verstand er es auch, die inhaltlichen Ideen ins Pianistische zu übertragen. Hier bestach Kozhukhins Spiel vor allem mit großartiger Sanglichkeit, die später im langsamen Satz Prokofjews schließlich ihre volle Wirkung entfalten sollte. Kozhukhin scheute bei Brahms allerdings etwas die Möglichkeit, die zart blühenden Rücknahmen entsprechend schlank und empfindsam zu spielen.
War Haydns Sonate der Kopfsatz der ersten Programmhälfte, und Brahmsens Andante mit Variationen in d-Moll der langsame Mittelsatz, so fiel Rachmaninows Corelli-Variationen op. 42 die Rolle des abschließenden Kehraus zu. Damit ist natürlich nicht das Thema der Folia, des musikalisch meistverarbeiteten Tanzes, der bereits aus dem 16. Jahrhundert in Portugal bekannt ist, gemeint, als vielmehr die nachfolgenden Variationen, die sich unter den Händen Kozhukhins bisweilen zur höchsten Virtuosität aufbäumten. Und so empfand man den ersten Block als eine geschlossene Einheit, die in der imposanten Konzentriertheit des vielfach ausgezeichneten Pianisten mit geballter Energie beeindruckte.
Den Weg zu Prokofjew wieder mit einer Haydn-Sonate aufzunehmen, ging erneut nur durch Kozhukhins Zugriff auf. Die deutlichen frühklassischen Züge in Haydns Sonate Nr. 47 h-Moll, die er mit großem Ernst und Beethovenschem Pathos exponierte, gaben ihm die Möglichkeit, eine Spannung aufzubauen, die – mit packender Virtuosität verbunden – die Sonate Nr. 7 B-Dur op. 83 von Prokofjew geradezu brauchte, um ihre Energie wieder loszuwerden. Das geschah allerdings nicht gleich im Kopfsatz, verarbeitete doch Prokofjew hier zunächst die Gräuel des Krieges. Kozhukhin zog nun alle Register, die unterschwellige Anspannung selbst in den sinnierenden Passagen aufrecht zu halten. Aber auch im betörend schönen Gesang des Mittelsatzes, der hoffnungsvollen Vision des Friedens, ließ er kein Loslassen zu. Die sonore Klangfülle erinnerte hier ans Brahms’sche Andante-Thema. Erst im Schlusssatzgetöse öffnete Kozhukhin alle Ventile, um den Sieg in der Manier russischer Sagenhelden heraufzubeschwören. Doch selbst an der Stelle, trotz gewaltigem Akkorddonner, blieb Kozhukhin immer noch ganz Herr der Lage, formte die Tonmasse selbst im rasantesten Tempo noch sorgfältig, der beschwingten Rhythmik folgend.
Als Zugabe kamen ausschließlich besinnlich Stücke in Frage. So das Prelude b-Moll von Bach (aus dem Klavierbüchlein für Wilhelm Friedemann Bach) im Arrangement des Rachmaninow-Cousins Alexander Siloti. Und auch die zweite Zugabe überaus originell: Die Transkription von Giovanni Sgambati einer Melodie aus „Orfeo ed Euridice“ von Christoph Willibald Gluck.
Reinhard Palmer, 14.06.2015


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Sa, 13.06.2015 | © Werner Gruban