Nach(t)kritik
Der Charme der kleinen Form
Veranstaltung: Gerd Baumann & Parade: run offEs geht auch anders. Für Hans Zimmer zum Beispiel werden Arenen gebucht. Spricht man von Ennio Morricone, bekommt der Duktus schnell etwas Weihevolles und hört man Melodien von John Williams, nestelt man gerne in den Jackentaschen nach dem Laserschwert. Filmmusik ist zur großen Show geworden, sie hat sich von der Leinwand emanzipiert und manch einem gilt sie gar als die neue Klassik, zumindest was die Fertigkeiten angeht, potentielle Ohrwürmer zu kreieren.
Gerd Baumann geht einen anderen Weg. Er könnte auch Orchester bemühen, aber seine Welt ist die Miniatur. Denn er liebt Songs, Geschichten, die zum Leben gehören und in eine kompakte Form gegossen werden wollen. Oder die sich für launige, verschmitzte Ansagen eignen. Da geht es zum Beispiel um Männer, die Liebe und deren latente Unlust, Bekräftigungsformeln der Leidenschaft übermäßig zu wiederholen. Es kommen auch Piraten vor, böse Kinder, die ihre Lehrer quälen, ein wenige Melancholien aus Seuchentagen und immer wieder die heimatlosen Kaffeetassen am Bühnenrand des Bosco, die Baumann zum Running Gag entwickelt.
Denn ihn interessiert das Greifbare, übrigens auch als Filmkomponist. Zu seinen bevorzugten Partnern hinter der Kamera gehört etwa Marcus Rosenmüller, der Regisseur vom Tegernsee, mit dem er schon seit „Wer früher stirbt, ist länger tot“ zusammenarbeitet. Einige Stücke des Abends stammen aus diesem Film, ebenfalls mehrfach wird „Sommer in Orange“ bedacht, die Komödie über ein fast schon vergessenes Freiheitsversprechen, das in den Siebzigern von Poona aus nach Bayern schwappte. Es sind überwiegend kurze Lieder, die Baumann anstimmt, kompakt arrangiert, nur selten von solistischen Einlagen ergänzt, die dann vor allem von Sam Hylton übernommen werden, der als Pianist und Keyboarder mit ornamentierender Geschmeidigkeit Akzente setzt.
Auch das hat er von der Dramaturgie seiner Arbeit mit Bildern übernommen. Überflüssiges lenkt ab. Wer wirken will, konzentriert sich auf wenige Details, die er möglichst effektiv umsetzt. Baumanns Quartett Parade folgt dieser Maxime. Benjamin Schäfer ist ein Bassist, den man kaum merkt, der zugleich aber das musikalische Geschehen solide fundamentierend zusammenhält. Flurin Mück trommelt pathetisch dezent, bis auf ein Besen-Solo sachdienlich präzise groovend. Baumann selbst spielt seine Gitarre vor allem klangfarblich begleitend, konzentriert sich auf Gesang und Geschichten, charmant nachlässig in der Intonation der Stimme und auch damit dem Ideal des Augenblickhaften näher als der Orchesterpomp der Kollegen.
Am Ende gönnt er sich und dem empathisch begeisterten Publikum ein wenig Sentimentalität mit einem Gänseblümchen, das seinen Lebenswillen poetisch durch den Asphalt der Menschenstraße drückt oder auch dem „Wunderlied“ aus „Sommer in Orange“, das sich vor dem Unerklärbaren des Lebens und der Schöpfung verneigt. Das ist der Moment, wo Pathos seinen Platz bekommt. Es ist ja auch die Botschaft, mit der Gerd Baumann die Menschen nach Hause schickt.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.