Nach(t)kritik
Der Krieg und der Springer und diese Aktentasche
Veranstaltung: Christian Springer und Albert Kapfhammer: Eine bomben AussichtEr sieht ein bisschen aus wie ein Alien, dieser Mann im weißen Hemd mit der fest gebundenen Krawatte und der schwarzen Aktentasche auf dem Kopf. Ein irritierender Fremdkörper im ansonsten gewohnten Stadt-Szenario: mal hockt er auf den Stufen vor klassizistischen Säulen auf dem Münchner Königsplatz, mal schwebt über ihm der Friedensengel, mal steht er Rücken an Rücken mit dem Unter-die-Erde-Schauer vor der Ägyptischen Staatssammlung. Am Obststand ist dieser seltsame Aktentaschenkopf ebenso zu sehen wie im Englischen Garten. Ist er vom Himmel gefallen? Oder ist ihm aus irgendeiner unbekannten Galaxie diese Kopfbedeckung verpasst worden?
„Eine bomben Aussicht“ heißt die Ausstellung von Christian Springer und Albert Kapfhammer, und vor allem die Älteren unter den Besucherinnen und Besuchern können sich noch gut an die Kampagne „Duck and cover“ aus den Sechzigern erinnern, als die Regierungen dieser Welt tatsächlich als Zivilschutzmaßnahme gegen die Folgen eines atomaren Angriffs empfahlen, sich entweder sofort unter eine Abdeckung zu kauern oder sich etwas über den Kopf zu legen, eine Aktentasche beispielsweise. Nun ist die Idee der atomaren Abschreckung ohnehin schon eine Absurdität, die Aktentaschen-Empfehlung ist jedoch an Absurdität kaum noch zu überbieten.
Leider leben wir aber wieder in Zeiten des Krieges, und die Drohung mit der Atombombe zählt längst wieder zu offiziellen Verlautbarungen der Machthabenden. „Als Putin über den Einsatz von Atomwaffen sprach, ist mein Vater narrisch geworden“, berichtet Christian Springer in seiner Einführung bei der Vernissage am Dienstagabend. Springer stammt aus einer Familie, in der - abgesehen von einem Großvater, der in sehr jungen Jahren unfreiwillig in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde - seit elf Generationen niemand mehr an einem. Krieg teilgenommen hat. Das lebt in dieser Familie, wird erzählt und gepflegt. Und so wehrt sich Christian Springer gegen die Ungeheuerlichkeit und Zumutung einer solch grotesk absurden Bedrohung mit seinen ureigenen Mitteln: dem Spiel mit der Absurdität. „Der Krieg und der Springer und die Aktentasche“, sinniert er und gibt dann einen bunten, frechen, witzigen, assoziationsreichen Einblick in das, was ihm bei diesem Dreisatz durch den Kopf geht. Das Ergebnis zeigen die Fotos: das Lebe geht einfach weiter und der mann mit dem Aktentaschenkopf stellt sich so lange dort hinein, bis man es dem Alltag ansieht.
Den Anstoß, „Eine bomben Aussicht“ im bosco zu zeigen, hat übrigens Christian Springer selber gegeben. Bei seinen Kabarettauftritten hat er sich immer wieder über die Ausstellungen im Haus gefreut und einfach eines Tages angefragt, ob man hier nicht auch seine Bilder zeigen könne. Natürlich ist er mit offenen Armen empfangen worden. Und so sind nun die Schwarz-Weiß-Fotos bis zum 19. Juli im bosco zu sehen. Eingebunden ist die Ausstellung in den Themenschwerpunkt „Mensch im Konflikt“. In diesem Rahmen gibt es noch Führungen für Gruppen und für Schulklassen sowie einen Filmabend mit dem Kubrick-Klassiker „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (am 04.07. um 20 Uhr). Mit einem launigen, sehr persönlichen Grußwort gab Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums, ein paar Impulse rund um das Thema Atomphysik und militärische Nutzung. Und das junge Duo Babysteps, bestehend aus Marlene Neubert und Chris Jagoda, rundete den Abend hervorragend musikalisch ab - übrigens auch eine Formation, die auf Initiative von Christian Springer hin das kreative Zepter übernahm. Die Welt und das Leben und der Springer - was für eine wunderbare Begegnung!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.