Nach(t)kritik
Der Mut der Mimosen
Veranstaltung: Christian Springer: Alle machen, keiner tut wasDialog zweier Zuschauerinnen vor Beginn – die Eine sagt: „Ich weiß nicht, ob ich den schon mal gehört hab.“ Darauf die Andere: „Beim Springer weiß man ziemlich genau, was kommt.“ Ja, so wie gewohnt war´s auch diesmal – der Münchner aus dem Stadtteil Berg-am-Laim lieferte mit seinem Programm „Alle machen, keiner tut was“ wieder jene Mischung aus händeringender Weltbeschreibung und beschwörenden Appellen an das Gute im Menschen ab, die seine Fans von ihm erwarten. Springer, seit Mitte der achtziger Jahre mit dem Thema Syrien befasst und 2012 Gründer des Vereins „Orienthilfe“, nutzt seine Auftritte schon lange dafür, die Zustimmung des Publikum beim Wort zu nehmen und ganz konkret Spenden einzuwerben, um etwas gegen das unvorstellbare Elend in libanesischen Flüchtlingslagern zu tun. Dabei gelingt es dem bekannt CSU-kritischen Springer inzwischen sogar, maßgebliche Leute aus der Staatskanzlei für seine „Orienthilfe“ zu erwärmen, deren humanitäre Aktivitäten ihn durchschnittlich zwei Mal im Monat in den Libanon bzw. nach Syrien führen.
Wie schafft jemand bloß diesen Spagat zwischen solch aufwendigem Engagement und dem Publikumsanspruch an einen unterhaltsamen Kabarettabend? „Ich wollte ja, dass ich das mit der Syrienhilfe nach zwei Jahren aufhören kann, aber es geht einfach nicht“, deutet Springer die schier aussichtslose Lage in dem vom Krieg zerstörten Land an. Im zweiten Teil des Abends wechselt er dann immer wieder vom Syrien-Thema zu anderen Absurditäten, schweift scheinbar ab und kehrt doch stets aufs Neue zurück zur Kernfrage, wann genau es anfängt mit der Unmenschlichkeit: Das kann eine Polizei-Aktion am Münchner Flughafen sein, bei der schulpflichtige Kinder, deren Eltern sie schon einen Tag vor Ferienbeginn mit in den Urlaub nehmen wollen, aus dem Flieger geholt werden. Springer hat so was selbst beobachtet und stellt fest: Im Kleinen beginnt der Wahnsinn. Natürlich ortet er ihn auch anderswo, wenn er spielerisch ruft: „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das sind drei Zimmer, Küche, Bad für 650 Euro warm!“ Ja, auch für Münchner Polizeibeamte gibt es keine erschwinglichen Wohnungen, dafür aber Pferde. Schön kompakt handelt er den Mieten- und Geldverteilungsirrsinn ab, ohne sich allzu sehr in tagespolitische Argumentation zu verstricken – Springer summarisch: „Der Blutdruck ist der wichtigste Wert in Deutschland.“ Damit wären schon mal viele der einheimischen Aufgeregtheiten abgedeckt. Und wenn er doch mal die notorischen Ängste der Deutschen vor Muslimen oder Einbrechern streift, dann mit ins Groteske gesteigerten Ideen: Dem vermeintlich Islamisten lässt er eine Art Umerziehung angedeihen (nur noch Messer in Gartlerbedarfsgröße) und dem eigenen Sohn wird zur Ermunterung ein Einbrecher-Set geschenkt, „weil der jetzt genau im richtigen Alter zwischen 17 und 25 ist“ - Springer geradezu bedauernd: „Es gibt in Deutschland immer weniger Leute, die kriminell was drauf haben, da herrscht Fachkräftemangel!“
So kann nur jemand reden, der a) schon viel Schlimmeres gesehen hat und b) unsere lächerlichen Wohlstandssorgen nicht mehr ernst nimmt: Der Grundton des Kabarettisten ist in diesem Fall der, dem ewig nörgelnden deutschen Michel und seiner ganzen Mimosenhaftigkeit mal in Erinnerung zu rufen, wie gut seine demokratischen Institutionen doch funktionieren und wie wohlgeordnet das Leben hierzulande doch ist. Springer zitiert ausgerechnet das Beispiel der Bayerischen Staatskanzlei, die bei aller politischen Ferne zum Kabarettisten diesen doch in seiner humanitären Arbeit tatkräftig unterstützt. „Wenn die Welt nur so einfach wäre...“, seufzt er zwischendurch. Dann noch ein Seitenhieb auf den Realitätsverlust eines Friedrich Merz, der mittellosen Bürgern völlig untaugliche Vermögenstipps gibt: „Aktien kaufen, damit endlich mal was voran geht!“ Ach, Politiker sind halt längst nicht mehr aus jenem Holz geschnitzt wie der einstige CSU-Minister Alfred Dick: Der hatte nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986 demonstrativ verstrahltes Milchpulver gefuttert, um Entwarnung zu geben. Springer: „Erzähl heute dem Dieter Reiter, saug mal das Stickoxid ein!“ Es war auch diesmal wieder die typische Melange aus Aberwitz und Predigt, aus gestenreicher Verzweiflung und unbändigem Kampfgeist, die Springer im Bosco präsentierte. Streckenweise ein bisserl arg missionarisch vielleicht, aber anders rüttelt man die Leute vermutlich nicht mehr wach. Die Lage ist absurd, aber nicht hoffnungslos – gefragt ist also der Mut der Mimosen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.