Nach(t)kritik
Die Angst des Astronauten vor dem Weißen Hai
Veranstaltung: Schlachtplatte: Die Endabrechnung 2018Eine Schlachtplatte ist laut Wikipedia ein Fleischgericht, bestehend aus Blut- und Leberwurst und traditionell nur an Schlachtttagen zubereitet. So ein Schlachttag ist für Kabarettisten vom Format des Kölners Robert Griess die Zeit des Jahreswechsels. Seit zwölf Jahren bereits serviert er „Die Jahresendabrechnung“ in Form einer kabarettistischen Schlachtplatte. In jedem Jahr stehen ihm in wechselnder Besetzung Kollegen zur Seite, die mit anrichten, nachdem sie zuvor mit geschlachtet haben. In diesem Jahr waren dies Sebastian Schnoy aus Hamburg, Axel Pätz ebenfalls aus Hamburg und Nils Heinrich aus Berlin.
Hauptzutat dieser Schlachteplatte, die glücklicherweise am Samstagabend auch in Gauting serviert wurde, war das geschliffene Wort. Zubereitet im heißen Kessel der genauen Zeitgenossenschaft, gewürzt mit politischem Scharfblick und frischen Seitenhieben in alle parlamentarischen wie außerparlamentarischen Richtungen, war dies ein kabarettistischer Ohrenschmaus und ein wahrer Leckerbissen, der dem Publikum auf der Zunge zerging.
Serviert wurde die Schlachteplatte - als Hinweis auf das bevorstehende Jubiläum der ersten Mondlandung und als Hommage an die jahrzehntelange bemannte Raumfahrt - in einer szenischen Klammer: die Raumstation ISS. Ruhig zieht sie ihre Bahnen um den Blauen Planeten, an Bord vier weitsichtige Astronauten, von der Schwerkraft befreit und mit analytischen Blick den Herkunftsplaneten in seinem beendeten Jahr 2018 betrachtend. Was sie dort sehen, ist wahrlich erschreckend: ein amerikanischer Präsident, der „schlechtes Benehmen in der Öffentlichkeit wieder salonfähig“ gemacht hat; eine untergehende deutsche Nationalmannschaft, die getreu dem Motto „Deutsche waren schon immer nur in der Vorwärtsbewegung gut“ einen schmählichen Rückzug antritt; und eine scheibchenweise scheidende deutsche Kanzlerin, deren Ära vermutlich als „Merkelscher Biedermeier-Buddhismus“ in die Geschichtsbücher eingehen wird. Und dann ist da noch ein Sommer zu sehen, der dank der Tatsache, dass „alle Bekloppten immer im Internet unterwegs sind“, endlich wieder einmal so richtig gut war.
Die Schlachteplatte besteht aus mehreren Gängen. Davon sind einige als Quartett angerichtet, andere als Soloportion. Solistisch resümiert Robert Griess die Ära Seehofer als Weg eines Mannes, „der als weißer Hai losschwamm und als Seepferdchen ankam“. Später liest er als Kölner Gelbwesten-Sympathisant der Wohlstandsignoranz aufs Schärfste die Leviten. Chansonier Axel Pätz widmet der sichtbar immer älter werdenden Gesellschaft eine „Rollator“-Hymne, in der als Reim mal „Ulambator“ zum Ziel wird, mal der „Defibrilator“. Sebastian Schnoy betrachtet als Historiker den leichtfertig abstempelnden Umgang mit den neuen Nazis nachdenklich und fordert, durchaus Kontroversen erwartend, „freien Eintritt für Nazis im Kabarett, damit wir sie hier dann richtig durchnageln können“ - eine Aufforderung zum Nachdenken über die Tatsache, dass im Kabarett meistens diejenigen sitzen, die sich ohnehin auf der richtigen, der kritischen Seite wähnen. Nils Heinrich, geboren in Thüringen und aufgewachsen „in dem Land, das früher mal Drüben hieß“, erzählt in einem hinreißenden Song von der allgegenwärtigen Angst vor allem - davor, kein W-LAN zu haben, vom Weißen Hai getötet zu werden oder Kohlrabi-Smoothie trinken zu müssen; später hält er eine einfach nur großartige Wahlrede eines, der auf gar keinen Fall gewählt werden will und der alles verspricht, was die Wähler wollen, zum Beispiel mehr Mibestimmung. „Die bekommt ihr dann, und abends ist auf großen Bildschirmen an Euren Häusern zu lesen, was ihr wieder mitbestimmt hat. Ihr werdet viel Besuch bekommen.“ Nils Heinrich ist die Entdeckung dieses Abends, ein Erzkomödiant und vollkommen schräger Vogel, der sich mit Haut und Haar in seine Figuren wirft und in exzellenten Texten den Zeitgeist auf Links zieht.
Am Ende bleibt ein begeistertes Publikum und ein Satz, den Sebastian Schnoy ausspricht, aus der Perspektive des ISS-Beobachters: „Dieser Planet ist dazu da, dass wir eine schöne Zeit auf ihm haben.“ Jeder, mit Rücksicht auf die Zeit des Nächsten und mit Rücksicht auf den Planeten, auf dass er uns und unserer Zeit noch lange erhalten bleibe.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.