Nach(t)kritik
Die Gegenwart so lang wie möglich hinauszögern
Veranstaltung: Michael Altinger: Lichtblick„Wir im Saal sind die guten, und die da draußen, das sind lauter Deppen!“, mit diesem Mantra, welches zweifelsfrei eine ironische Zuspitzung aktueller Debattenkultur darstellen soll, sorgt der aus der „Anstalt“ und dem „Schlachthof“ bekannte Kabarettist Michael Altinger für Beifall im Publikum. Die Sorge vor einer von Krisen durchsetzten und damit ungewissen Zukunft ist das zentrale Thema des Abends, und „wenn die Zukunft schlecht aussieht, sollte man die Gegenwart so lang wie möglich hinauszögern“.
Es folgt also die Bestandsaufnahme eines Status Quo mit vereinzelten Aussichten auf mögliche Zukunfts-Szenarien. Wenn die Künstliche Intelligenz übernehmen sollte, dann wäre einem geraten, diese so gut wie möglich mit digitalem Hakenschlagen zu verwirren, so lange, bis der „’rithmus“ brenne, weil er nicht mehr aus einem schlau werden könne. Insgesamt stelle der Abend den dritten Teil seiner Trilogie aus Kabarett-Programmen dar, wer also alles verstehen möchte, der solle sich doch bitte am Ende des Abends den ersten Teil auf CD kaufen, den zweiten Teil könne man kostenlos auf sämtlichen Streamingplattformen hören, so geizig wäre man ja nicht.
Hauptsächlich aber widmet sich das Programm der Vergangenheit, so berichtet Michael Altinger, er mache wieder Urlaub in der eigenen Kindheit, indem er sich von der Mutter nochmals aufklären und vom Vater wieder beim Tischtennis gewinnen lassen würde. Auch an die eigene Kirchenbegeisterung in seiner Jugend erinnere er sich, „was habe ich meinen kleinen Bruder verdroschen, nur um beichten zu können“. Inzwischen sei er über 50, die eigenen Eltern hören nun auf Bayern 1 die Songs seiner Jugend, die damals in deren Augen als unhörbare Musik von „Kriminellen und Drogensüchtigen“ verpönt waren. Und auch der Sex ist im Alter eher in die Kategorie ‚Sport’ eines gänzlich nach Effizienz austarierten Lebens geworden, als letzte Maßnahme gegen den spürbaren körperlichen Zerfall.
Diesem widmet Altinger ein ganzes Lied; generell wird der Abend wunderbar kurzweilig gestaltet durch die überzeugende musikalische Untermalung. Gemeinsam mit dem begabten Gitarristen Andreas Rother (der zeitweise wie ein Sidekick mit frechen Bemerkungen in das Programm mit aufgenommen wird) wird das Programm durch zahlreiche Songs musikalisch aufgelockert, die Bandbreite gestaltet sich dabei von rockigen Klängen bis hin zur Volksmusik. Manchmal auf zwei Gitarren, immer aber von Rother auf der akustischen, wie der elektrischen Gitarre begleitet beweist Michael Altinger neben seinem Wortwitz auch eine große technische Begabung im Singen und Tanzen.
Das fiktive Dorf Strunzenöd wird zum beispielhaften Mittelpunkt aktuellen Weltgeschehens und sein Bürgermeister Helmut Lux zeitweise zum metaphorischen Ebenbild Elon Musks. In diesem selbst erschaffenen Mikrokosmos arbeitet sich Michael Altinger an aktuellen gesellschaftlichen wie politischen Themen ab, indem er diese immer wieder auf die metaphorische Ebene jenes kleinen Dorfes herunter skaliert. Jeder politische Fehltritt wird von den Bewohner*innen durch ein von Lux organisiertes Volksfest verziehen, am Ende hebt der fiktive Bürgermeister in seinem selbst gebauten Raumschiff ab und löst so vermeintlich das letzte Problem der Bürger*innen, indem er sie sich selbst überlässt. In einem weiteren Song wird dann aus ’Ich war noch niemals in New York’ plötzlich „Du warst noch nicht einmal in Barcelona“, jetzt plane man nur noch die Kreuzfahrt mit all den Anderen, die ebenfalls nicht weit gekommen sind.
Wirkt Altinger in der ersten Hälfte noch gemäßigt, so wird er in der zweiten Häfte des Abends endlich wesentlich bissiger, wenn es um Themen wie den Klimaschutz, die mit Problemen behaftete Vergangenheit der Kirche, Hubert Aiwanger und die profitorientierte Politik einer regierenden Partei geht. Trotzdem bleibt das Programm trotz einiger kluger Bilder in altbekannten und verstaubten Pointen hängen: es geht mal wieder hauptsächlich um Gendern, Veganismus, um das Tempolimit und Klimaaktivist*innen, um die Handysucht einer jüngeren Generation und Google. Schade, stellt Altinger doch in seinem Programm in scharfen Beobachtungen fest, dass die Freiwilligkeit zur Verbesserung der allgemeinen Lage der Macht der Gewohnheit unterliege und somit die eigene Mündigkeit der Bürger*innen von ihnen selbst Traditionen und Gepflogenheiten unterstellt werde. Doch insgesamt wirkt auch dieses Programm Sicherheiten untergeordnet und sich in Gewohnheiten ausruhend, was viele Pointen im Angesicht mancher geschärfter Beobachtung des Abends belanglos wirken lässt. Ein wenig mehr Biss und Bosheit hätten da nicht geschadet.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.