Nach(t)kritik
Die glorreichen Sieben
Veranstaltung: Dreiviertelblut: Finsterlieder„Gauting ist schwierig“, kokettiert Sebastian Horn noch vor dem ersten musikalischen Ton seiner siebenköpfigen Formation „Dreiviertelblut“ - als wüsste er nicht ganz genau, dass diese „Mörder-Band“ (O-Ton Horn später am Abend) das bosco gleich im Sturm erobern würde. Apropos „Sturm“: Selten hat man es bei einem Live-Konzert mit derart vielseitigen Leuten zu tun, die vom bayerischen Zwiefachen bis zur ausladenden The Cure-Covernummer „Da Woid“ (Original: „The Forest“) ungefähr alles im Repertoire haben, was die Seele vibrieren und die Ohren wackeln lässt. Dabei weist der Titel der jüngsten CD „Finsterlieder“ (2016) eigentlich in Richtung Düsternis, Innerlichkeit und Depression – doch weit gefehlt: Auf Ludwig Hirschs ebenso tieftraurige wie geniale Sarg-Nummer „I lieg am Ruckn“ (aus "Dunkelgraue Lieder") samt erstem Wurmbefall mitten im Song folgt schon bald das wiederbelebende „Ned nur mia“, mit dem „Dreiviertelblut“ schon vor zwei Jahren in Anbetracht des Flüchtlingselends gegen den satten Egoismus im Lande angesungen hatten. Und spätestens ab diesem Zeitpunkt entfachen Horn (Vocals), sein Mit-Bandgründer und Mit-Komponist Gerd Baumann (Akustikgitarre, Vocals) zusammen mit Luke Goetze (E-Gitarre), Dominik Glöbl (Trompete, Flügelhorn), Florian Riedl (Bassklarinette, Moog), Benny Schäfer (Kontrabass) und Andi Haberl (Schlagzeuger, den man in Gauting schon von Max BAB kennt) schier Unfassbares: Als hätten sich Tom Waits, La Brass Banda, Guns´n´Roses, Kofelgschroa, der „Dritte Mann“ und natürlich Sebastian Horns „Bananafishbones“ an diesem Abend zu einer wilden Session getroffen, verabreichten diese glorreichen Sieben die aufregendsten Wechselbäder – ein Teil der Erotik geht dabei stets von der Lenggrieser Bass-Stimme des Barfuß-Sängers Horn aus, weitere Spannungselemente sind die wahnwitzigen Trompeten-Ausflüge von Dominik Glöbl und die geschmeidige Bassklarinette von Florian Riedl. Und dann noch die „Darmzupfer“: Wann hat man in einem eher traditionell-alpenländisch angelegten Stück zwischendurch schon mal ein Alwin-Lee-Gedenk-Solo (Luke Goetze) zu hören gekriegt?
Der Spiritus Conrector an der Akustikgitarre, Gerd Baumann, u.a. Komponist von Soundtracks zu Max-Färberböck-Krimis und zu Rosenmüllers „Wer früher stirbt, ist länger tot“ (2007), macht dazu einen auf „unschuldig“ und serviert doch feinste Kost, die im Gesamtgefüge zwischen Landler. Walzer, Barden-Musik, Ska und rasender Polka sämtliche Gangarten drauf hat. Auch Tango ist dabei, auf eine ganz eigene Art. „Dreiviertelblut“ feiert das Leben und umkreist doch auch den Tod und die Sterblichkeit auf eine handfeste Weise, die man als Zuhörer sogar bis in die thematisierte Finsternis hinein begleiten möchte. Diese Musik spiegelt eigentlich alle denkbaren emotionalen Zustände, den gemeinschaftlichen Exzess („Deifedanz“) wie die unrettbare Einsamkeit des Verlassenen in einem trügerischen Sommer („Himmeblau“), den Suff („1,2,3“) und den Verzicht („Wann i dann“), die Alltagsplagen („Blutsauger“) und die Sehnsucht nach den Verheißungen des nächsten Sommers („Hollerkiacherl“). Irgendwie verstehen sich "Dreiviertelblut" auch als Grenzgänger nach dem Motto "Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben". Musikalische Borderliner. Und dann noch die schön absurden Ansagen Baumanns, dass das nächste Lied ohne Ansagen auskommt. Das „schwierige“ bosco kapitulierte. Inklusive Zugaben fast drei Stunden „Balsam für alle“. Standing Ovations und die Feststellung eines Ohrenzeugen beim Hinausgehen, „dass man die unbedingt live erlebt haben“ müsse. Man kann nur auf die Fortsetzung mit dem Titel hoffen: "Die glorreichen Sieben kehren zurück."
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.