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Nach(t)kritik

Die Kinder des Olymp: Flirrend und beinahe surreal

Auch die Entstehungsgeschichte des Films selbst, der in den Jahren 1943 bis 1945 im besetzten Paris entstand, ist ein Gleichnis für die Lebensumstände der am Film beteiligten Menschen. Jochen Schölch hat aus dem Film über das Theater ein Theater über das Theater gemacht. Das nach dem Drehbuch von Jacques Prévert entstandene Stück „Die Kinder des Olymp“ feierte im Juli vergangenen Jahres Premiere im Münchner Metropoltheater. 

Die schöne Garance, um die sich dieses Stück wie ein buntes und immer schneller werdendes Karussell dreht, wird von allen Männern begehrt, doch sie ist „zu schön, um geliebt zu werden“. Deshalb sonnt sie sich im Begehrtwerden, legt sich nicht fest, ist mal hier und mal da. Und so bemerkt sie erst viel zu spät, dass die Liebe des melancholisch-romantischen Pantominen Baptiste die Liebe ihres Lebens gewesen wäre. 

Regisseur Marcel Carné drehte damals seinen Film mit größtmöglichem inszenatorischem Aufwand und mit vielen Drehtagen, unter Einsatz möglichst vieler Schauspieler und Statisten, um sie alle vor einer Deportation als Zwangsarbeiter nach Deutschland zu bewahren. Jochen Schölch macht nun das genaue Gegenteil: Er inszeniert mit dem ihm eigenen Minimalismus vor und hinter einem roten Vorhang. Es ist das Publikum, das wie in seiner legendären Inszenierung von „I hired a Contract Killer“ die Seiten wechselt – allerdings kommt er dafür diesmal ohne die Drehbühne aus. Mal sind die Theaterbesucher eben Theaterbesucher, die auf das Bühnengeschehen blicken, dann werden sie zu Beobachtern hinter der Bühne und blicken mit den Schauspielern durch den sich öffnenden Vorhang auf das buhende oder applaudierende imaginäre Publikum des „Théâtre des Funambules“ oder später des „Grand Théâtre“. Dann aber werden die Zuschauer zu Voyeuren in den Garderoben der Schauspieler oder in den Pensionszimmern der schrillen Madame Hermine. Die Bühne wird zur Bar, in der Gaukler und Ganoven verkehren, oder aber zur Straße, immer trennt der Vorhang das Drinnen vom Draußen – oder das Leben vom Theater. 

Die Leere der Bühne und der weitgehende Verzicht auf Requisiten setzt die Schauspieler umso bildstärker in Szene. Diesseits wie jenseits des Vorhangs müssen sie ihre Geschichten mit den Mitteln des Theaters und mit pantomimischen Gesten erzählen, die Grenzen zwischen Drinnen und Draußen sind ebenso wenig klar abgesteckt wie die zwischen der Rolle und dem Leben der Figuren. So erscheinen die Männer, die die schöne Garance umschwärmen, zugleich als Repräsentanten verschiedener theatralischer Attitüden: Baptiste ist der sentimentale Clown, Frédérick ist der grobschlächtige Komödiant, der Graf ist der tragische Held und der skrupellose Lacenaire ist der verhinderte Autor, der sein eigenes Leben wie ein Theaterstück inszeniert. 

Sieben grandiose Schauspieler spielen insgesamt 22 Rollen, ebenso rasch wie die Kostüme wechseln sie zwischen Komik und Ernst, zwischen Komödie und Tragödie. Ihnen ist es zu verdanken, dass trotz der sich zuweilen recht langsam entwickelnden Handlung ein temporeicher, ein flirrender und beinahe surrealer Theaterabend in Erinnerung bleiben wird.
Katja Sebald, 05.02.2015


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.