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Nach(t)kritik

Die Laus im Fell des Hasen von Dürer

Der Umzugskarton als Rahmen. Er kann ein ganzes Leben enthalten, eine Bewegung vom Vorher ins Künftig, die Geschichten zu all dem, was einen Haushalt ausmacht. Und für die Zeit vor dem Auspacken und wieder Einrichten steht er für das „Omnia mea mecum porto“, für das Gefühl, alles, was zu einem gehört und was man benötigt, bei sich tragen zu können.

Ein ausgezeichnetes Bild für einen Kabarettabend, der den schlichten Titel „und…“ trägt. Alfred Dorfer war zu Gast im bosco, seine Geschichte dieses Abends war die eines bevorstehenden Umzugs, geprägt von vielen kleinen Geschichten, die sich im Umzugskarton und in der Leere der schon ausgeräumten Wohnung verbargen. Geschichten wie die vom Restaurantbesuch, wo ein geschichtenhungriger Theaterdirektor auf eine von Dorfer geschriebene Geschichte wartet. Geschichten wie die von der alten Mutter, die darauf wartet, dass der Sohn  - wieder einmal - bei ihr einzieht und vielleicht alles wieder so wird, wie es mal war. Geschichten wie die vom Sommer in Schweden auf der Suche nach einer verschwundenen Elfe - die auf einer Party von vor dreissig Jahren wieder auftaucht, bei der der Suchende unter den Gästen sich selber trifft. „Der mit den Elfen spricht“, lautet nach Dorfer die Bedeutung des Vornamens Alfred. 

Die Elfen, mit denen der Kabarettist an diesem Abend spricht, sind nicht immer nur zarte Zauberwesen. Manchmal sind sie von widerborstiger Natur, manchmal entziehen sie sich sogar dem Blick und damit der Deutung. Elfen sind rätselhaft, das müssen sie sein, um der sie charakterisierenden Flüchtigkeit eine gewisse Bodenhaftung entgegenzusetzen: was man bedenkt, das bleibt.

Bleiben werden Sätze wie „Jemand, der mit einer Ärztin, einer Lehrerin, einer Anwältin nicht spricht, aus dem einzigen Grund, weil sie eine Frau ist, der hat hier nichts verloren.“ Bleiben werden deutlich rätselhaftere Sätze zu Aufregerthemen wie Islamistischer Terror oder Umgang mit Fremden und Gästen und fremden Gästen. Das kann durchaus schon mal in scharfen Zynismus münden, beispielsweise beim Nachdenken über den „islamisten als Artgenossen“. Alfred Dorfler hat keinerlei Scheu vor politischer Unkorrektheit, vielmehr hegt er deutliche Abscheu vor der sogenannten politischen Korrektheit. „Political correctness“, würde es eine seiner Figuren nennen, der junge Mann mit dem Problemen im oberen Atemwegskanal. 

Im Umzugskarton leben viele verschiedene Figuren, die im Laufe des Abends herausspringen und Alfred Dorfers Gestalt annehmen, bis es dann umgekehrt wird und er die Gestalt seiner Figuren annimmt. Das Drama, die Komödie, die der Theaterdirektor sich wünschte, ist längst schon da, steht längst auf der Bühne. Es ist ein groteskes Stück, das immer wieder das Gewand der Poesie anzieht. Hier ist ein Literat am Werk, einer, der mit Sprache umzugehen versteht. Der sich für die Details interessiert, die Auffälligkeiten am Rande, „die Laus im Fell des Hasen von Dürer“. Die Kleinigkeiten, die aber beißen können. Und die sich festhaken. „Des war´s“, lautet lapidar der letzte Satz des Abends. Das Fazit eines Lebens. Genau das könnte auch auf der Umzugskiste stehen.

Sabine Zaplin, 08.03.2017


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.