Nach(t)kritik
Die letzten Guten
Veranstaltung: Pigor & Eichhorn: Volumen XDas Argument und die Lehre dieser Diskussionsform ist auf den ersten Blick kein klassisches Kabarett-Thema - denkt man doch bei diesem Stichwort erst einmal an Debattierclubs oder auch an Parlamentsgeschehen. Doch Kabarett, wie es Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn bieten, hat sehr wohl etwas mit dem zu tun, was schon Aristoteles in seiner Argumentationstheorie benennt: es lässt sich nämlich auf diese Weise trefflich aufdecken, wer warum und auf welche Weise kommuniziert. Wer beispielsweise in seiner Argumentation stereotyp immer wieder dieselbe Parole ausgibt, so wie es Markus Söder gerne tut, offenbart, dass ihm oder ihr die Argumente des Diskussionspartners eher egal sind. Oder wer immer wieder auf das eigene Elend hinweist, setzt argumentativ auf das Mitleid der anderen.
Das intellektuelle Niveau des aktuellen Programms von Pigor & Eichhorn, die erstmals im bosco auftraten, war mit den auf dem Flügel liegenden Argumentationslehren von Aristoteles und Schopenhauer gesetzt. Doch „Volumen X“ bot gleichzeitig so viel mehr als das rein intellektuelle Vergnügen an der sprachlichen Analyse gegenwärtiger Debatten. „Kabarett ist Freiheit“, postulierten die beiden Künstler gleich zu Beginn des Abends. Und die Freiheit, die ihnen diese Bühnengattung bietet, nutzen sie virtuos und sprachgewaltig aus, zum größten Vergnügen des Publikums. Da geht es mal um Racial Profiling und die - aus dem Argumentationstypus der Umkehrung gewonnenen - Umkehrung in dem Lied „Kontrolliert mich: ich bin von hier“. Da geht es um den Umgang mit der Forderung nach gendergerechter Sprache und den konstruktiven Vorschlag, es mit dem zumindest im Plural geschlechtsneutralen norddeutschen „S“ zu versuchen, im Sinne von „Bewohners“ oder „Kritikers“. Und da geht es immer wieder und höchst eindrucksvoll um die Realität der Klimakatastrophe und den daraus zu ziehenden, vor allem den bisher aus Bequemlichkeit jahrzehntelang nicht gezogenen Konsequenzen. Ob es das Lied der „Endzeit-Omas und -Opas“ ist, die es sich in einem fast trotzigen „Ist mir doch egal“ eingerichtet haben, oder ob es der vulkangleiche Wutausbruch von Thomas Pigor ist, der mit der Vorgänger(s)-Regierung und den Merkeljahren abrechnet: „Sie hatten sprudelnde Kassen, fette Jahre, und was ist ihnen dazu eingefallen?“ Der Zustand, den diese hinterlassen haben, bringt ihn so zur Raserei, dass er wutschnaubend die Bühne verlassen muss, so dass Benedikt Eichhorn übernimmt und mit einem Chanson am Flügel wieder für Ruhe sorgt.
Überhaupt ist das Timing perfekt in diesem Programm. Immer wieder finden Pigor und Eichhorn die Balance zwischen intelligenter Plauderei, Chansons und Songs sowie musikalischen Überraschungen - und sei es die immer wieder in der Garderobe verschwindende Gitarre, die als Anlass für kurze Solonummern dient. Die Balance stimmt aber auch hinsichtlich der Dynamik: auf einen frechen Rap folgt eine kluge Übersetzung von Jaques Brels legendärem „Ne me quitte pas“, und auf diesen wiederum ein großartiges Stück über Politik und klimagerechtes Handeln „It´s Politics - stupid“. Einfach nur großartig ist die im Stil von Konstantin Wecker mit bester Gesangstechnik zelebrierte Nummer über all die Vertreter(s) der Nach-68er rund um Anti-AKW- und Friedensbewegung: „Halt! Ihr könnt nicht einfach jetzt in Rente gehen…“ Schließlich werden sie alle doch so dringend noch gebraucht, die Wütenden, die Aufmuckenden: „Mir san doch die letzten Guten.“
Und das folgt eigentlich keiner gängigen Argumentationslehre, höchstens der des Kabaretts selber, so wie Pigor es gleich zu Beginn verkündete: „Wir sind Bühne, wir sind schroff!“
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.