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Nach(t)kritik

Sa, 20.01.2018
20.00 Uhr

Die Lust, Polen anzugreifen

Veranstaltung: Sebastian Schnoy: Hauptsache Europa. Jetzt erst recht!

So ein Studium ist schon was Sinnvolles: Der eine versucht sich in Philosophie und wird Taxifahrer, der andere probiert´s mit Geschichte – und wird notwendiger Weise irgendwann Kabarettist. Sebastian Schnoy ist Jahrgang 1969 und unterliegt damit zwar der Gnade der späten Geburt, doch die „dunkelste deutsche Geschichte“ hat er allein durch eigene Familienbande ganz gut mitgekriegt: Mein Opa war schon damals für ein grenzenloses Europa“, entgegnet er einem Franzosen, der es genauer wissen will. Weil der in Ham-burg lebende Schnoy aktuell eine französische Partnerin hat, ist er auf derlei bestens vorbereitet – und noch auf einiges mehr: „Hauptsache Europa - jetzt erst recht!“ heißt sein Programm, doch im Grunde ist der Titel nur möglichst weit ausladender Spannungsbogen und thematisch nicht allzu einengend gemeint. Immerhin fängt der 48-jährige beim Bosco-Gastspiel mit ein wenig Briten-Bashing an: „Wissen Sie, wie viel Tonnen Fish & Chips pro Jahr von England nach Italien exportiert werden?“, fragt er das Publikum, um die „Unverzichtbarkeit“ der Insel für die EU ironisch zu wägen – die Antwort: „Zwölf, und die gehen alle an die britische Botschaft in Rom!“

Schnoy ist sehr zielgerichtet in seiner Pointen-Entwicklung, für einen schön abgründigen Satz geht er meilenweit: „Ich scheue kein Risiko, wenn´s um Kabarett geht“, sagt er zwischendurch und vergisst nicht zu erwähnen, dass er da und dort angeblich Hausverbot hat wegen allzu scharfer Kost. Der vom Kollegen Sigi Zimmerschied mal erfundene Begriff der „Pointen-Dichte“ kommt bei Schnoy auch nicht zu kurz, auch wenn das Staccato im Verbund mit kalkuliert verfehlter Political Correctness manchmal das Publikum zu überfordern scheint: Man hat als Zuhörer gar keine Zeit, sich einen doppelbödigen Satz wie „Erst seit 1876 müssen Fußballplätze in Deutschland baumfrei sein“ auf der Zunge zergehen zu lassen, denn schon folgt eine Was-wäre-wenn-Betrachtung zum Stauffen-berg-Attentat auf Hitler, das Letzterer bekanntlich nur wegen des neun Zentimeter dicken Eichentischs überlebt hatte: „Wenn es damals schon IKEA gegeben hätte...“

Kann man aus Geschichte was lernen? „Ja, wenn man sich mal was merken würde“, zieht Schnoy ernüchternde Zwischenbilanz. Geschichte dürfte ihn während seines Studiums ebenso fasziniert wie gelangweilt haben, und so pickte er sich aus all der wirkungslosen Faktenhuberei irgendwann die unterhaltsamen Rosinen heraus – ohne die Pose des Dozierenden ganz zu verlassen: Dass „ein berühmter Monarch“ es verboten haben soll, dass „einer meiner Leibwächter größer als ich ist“ - dieses Zitat lässt er vom ratenden Publikum Napoleon zuschreiben, um dann die Auflösung „Sarkozy“ zu liefern – Geschichte kann also Spaß machen! Schnoys Methode, auch schwer lastende Gegenwartsthemen zu leichter Lach-Kost zu verarbeiten, sorgt immer mal für Entlastung beim „Unterricht“, etwa dass die Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg auch „die ersten Bayern mit Abitur“ gebracht hätten oder dass die Kölner Silvester-Exzesse 2016 „die ersten sexuellen Übergriffe ohne Beteiligung der Katholischen Kirche“ gewesen seien. Das (in Gauting mutmaßlich eher katholische) Publikum geht auch hier noch wacker mit, nur als der Kabarettist abfragt, ob Juden im Saal sind (keiner meldet sich), stockt manchem kurz der Atem, was das denn zu bedeuten habe? Schnoy meint offenbar, wie schon mancher bosco-Bühnen-Gast vor ihm, man müsse im konservativ geprägten CSU-Bayern austesten, was geht. Damit unterschätzt er die Leute natürlich, insbesondere das „gestählte“ Abonnenten-Publikum.

Dass er altbekannte Klischees über die fehlbesetzte Aufgabenverteilung in EU-Europa kredenzt („Franzosen als Mechaniker, Engländer als Köche, Italiener als Organisatoren und Schweizer als Liebhaber“), kommt bei denen gut an, die den Witz noch nicht kann-ten; auch die Frisuren-Betrachtungen vom Trump-Toupet über Boris Johnsons Semmel-Kopf bis zu Geert Wilders sind nicht neu. Dass der Wahl-Hamburger mit mutmaßlich niedersächsischen Wurzeln Woody Allen zitiert, wenn es um schwerblütige teutonische Mythen geht, funktioniert ebenfalls: „Wenn ich ´ne halbe Stunde Wagner höre, kriege ich Lust, Polen anzugreifen...“ Schnoys Stärke und Schwäche zugleich ist sein Sarkasmus - manchmal ist es ihm nämlich auch ernst mit der Geschichte und dem unabänderlichen Lauf des Lebens: „Bei Kreuzfahrten liegen Entspannung und Verwesung dicht beieinander“ ist so ein Zertrümmerer-Satz, der keine Illusionen übrig und den Gautinger Senior schlucken lässt. Ja, der Hamburger ist das, was man „krösch“ nennt – die hanseatische Variante des Deutschen, der gründlich und unbeirrbar bis zum Untergang bleibt. Und wenn ein paar männliche Exemplare dieses „urdeutschen“ Typus dann an einem FKK-Strand in Mecklenburg-Vorpommern bäuchlings nackt im Sand liegen, fragt sich der erfahrene Historiker: „Kommt da noch einer von Greenpeace und zieht die wieder ins Meer rein?“

Schnoy sorgt für Linderung und Abfuhr, wenn die Gegenwart allzu schlimm wird. Wenn Wörter mit „ing“ am Ende laut Sprachpolizei auf einmal als diskriminierend gelten und es "Flüchtende" heißen soll, fragt er in aller Unschuld: „Wieso das denn, Liebling?“ So sollte sie wohl sein, die Gegenwartskunde: Subversiv. Auch wenn man sich dabei hin und wieder aus der Pointen-Mottenkiste bedienen muss.

Thomas Lochte, 21.01.2018


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 20.01.2018 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.