Nach(t)kritik
Die Nacht zum Tag gemacht
Veranstaltung: Tuija Komi Quartett: Meet me under the polar lightsJahr für Jahr blickt die Welt halb überrascht und auch mit einem Quäntchen Neid auf Europas hohen Norden. Hier leben die glücklichsten Menschen der Welt. Auf Platz 1 steht auch dieses Jahr Finnland. Das Konzert, mit dem Tuija Komi und ihre drei Mistreiter Stephan Weiser (Klavier), Peter Cudek (Kontrabass) und Martin Kolb (Schlagzeug) das Bosco füllen, kann auch als klingender Beweis dafür verstanden werden: Finnen seien wirklich vor Glück strahlende Menschen und haben, zumindest im Fall der Sängerin, auch Freude daran, dieses Glück zu teilen.
Das Glück speist sich bei Tuija Komi, die schon viele Jahre in Deutschland lebt und sich in der heimischen Jazz-Szene bestens etabliert hat, immer noch sehr aus Gefühlen, die mit ihrem Herkunftsland zu tun haben. In „Land of the Midnight Sun“ etwa gibt Komi dem Heimweh nach dem Land, in dem wenigstens für ein paar Tage die Sonne nicht untergeht, musikalischen Ausdruck. Auf das karg melancholische Anfangs-Solo, dem Komis runde, bisweilen angenehm kehlige Stimme Profil gibt, folgt jedoch bald die Aufhellung. Zu einer beschwingten Melodie fragt sie „Have you ever thought about it – how it’s up in the North?“ Für alle, die sich das noch nicht gefragt haben, oder für diejenigen, die noch wenige Antworten gefunden haben, ist der Abend mit Tuija Komi und ihren Freunden ein Anfängerkurs. Vermutlich wird gerne getrunken, denn zwischen den Stücken bringt Komi dem belustigten Publikum didaktisch einfühlsam bei, wie man sich unter Finnen zuprostet.
„Ich war bei einem Fest in Finnland“, beginnt Komi auch eine Moderation. Dort habe sie ein Klavierstück gehört, in das sie sich sofort verliebt habe. Nur leider sei dieses Stück eben ohne Gesang gewesen. Doch das spornt nur den Improvisationswillen an. Wenn es draußen schneit, macht man eben drinnen Steine heiß und nennt es Sauna. Wenn Jean Sibelius’ letztes seiner Fünf Stücke Opus 75 keinen Text hat, düdelt man eben selbst einen dazu und überlässt den Rest dem intelligenten Arrangeur Stephan Weiser. Im Zusammenspiel mit Komis Trio ergibt das ein stimmiges Charakterstück und eine Klang gewordene Umarmung.
Dass das Glück nicht nur aus fröhlichen Dur-Melodien besteht, zeigt auch der Pop-Song „Suru on kunniavieras“ von Jenni Vartiainen – „Die Trauer ist ein Ehrengast“, eine romantisch rührende Ballade. Gegengewichte dazu präsentiert Komi etliche. In „Samba Tzigane“ der Trompeter-Legende Dusko Goykovich bringt sie, wenn auch nicht immer intonationssicher, mit eigenem Text die Luft zum Sirren, im finnischen „Sport-Tango“ mit dem Titel „Warum ausgerechnet er“ lässt sie die Füße wippen. Auch wenn sich Astor Piazzolla im Jenseits die Nackenhaare aufstellen, die Finnen sind hörbar tangobegeistert und inspirieren damit die Gautinger.
„Wir Finnen spinnen“, so fasst Komi den Schlüssel zum Glück in einen Satz. Das Publikum hat sie damit angesteckt, mit ihrem im besten Sinn versponnenen Programm, das mit einer stilechten Zugabe endet. „Tanzende Rentiere“ verabschieden ein beglücktes Publikum.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.