Nach(t)kritik
Die triumphale Rückkehr der Folk-Romantik
Veranstaltung: Gurdan Thomas Band: Skurriler Brit-FolkEinen Fußabdruck hinterlassen. Einen handschriftlichen Brief, den der Empfänger vorfindet, wenn er die aktuelle CD auspackt: Die „Gurdan Thomas Band“, das spürt man vom ersten Ton an, ist etwas ganz Besonderes. Der Komponist, Arrangeur und Textschreiber, der dieser Formation seinen Namen gegeben hat, stammt aus Birmingham und sagt über seine Heimatregion, sie sei „the black country“, das schwarze Land, das in England angeblich alle hassen. Gurdan Besrywan Thomas ist dieser vermutlich düsteren Prägung nach München entkommen, genauer gesagt, zu einer Land-WG in Lochhausen. Und er hat hier wohl ein paar Seelenverwandte gefunden, die seinen durchaus skeptischen Blick auf die Welt nicht nur teilen, sondern auch erfrischende Musik zur Antwort geben: Dass die „Gurdan Thomas Band“ 2015 auf der „Oidn Wies´n“ für Begeisterung gesorgt hat, spricht Bände – das inoffizielle Bayern und das inoffizielle England sind mit dieser Musik eine glückliche inoffizielle Liaison eingegangen. Und nicht nur das: Wer als heute älteres Semester in den neoromantischen siebziger Jahren Gruppen wie „Renaissance“ gut fand oder Kate Bushs Versponnenheiten liebte, wer also ab den achtziger Jahren die britische Skurrilität in der Musik schmerzlich vermisste, der darf nun endlich wieder jubeln: Das gute alte Handgemachte, ja Altmodische ist mit dieser Gruppe zurück! Die „Gurdan Thomas Band“ geht mit ihren Instrumenten im Grunde einen ähnlichen Retro-Weg wie „Kofelgschroa“ aus Oberammergau: Helikontuba (Regine Wüst), Akkordeon (Sandra Hollstein, die auch noch singt und Melodica spielt), Trompete und Flügelhorn (Michael Hohm, der noch „Throat singing“ beisteuert und die Ukulele bedient) sowie – diesmal als Drummer dabei – „Stunki“, dessen bürgerlichen Namen man bei Gurdans britisch-deutschen Ansagen als „Michael Stuck“ deuten könnte.
Diese Besetzung (auf der CD „The Dark Side of Gurdan Thomas“ spielt offenbar Ian Whitmore am Schlagzeug) und Gurdans enorme Kreativität bringen nun eine Musik hervor, die sich so ganz und gar nicht einordnen lässt: Walzer und Ska, Reggae und Folk koexistieren nicht nur, sie gehen hier auch ständig aufregende neue Verbindungen ein. Gurdans und Sandras variabler Gesang (auf Englisch mit walisisch-gälischen Einschlägen), strukturiert zumeist von Akkordeon, Gitarre und Tuba, bietet immer wieder überraschende Rhythmuswechsel, dazu der pointierte Einsatz von Trompete, Melodica und Ukulele – all dies erzeugt zumindest live einen überwiegend wohligen Taumel, der einen wünschen lässt, er möge einfach niemals enden. Doch die Stücke (Gurdan: „Stucke“) sind zuweilen „schneller vorbei als die Ansage“, stellt Thomas zwischendurch selber fest. Wer etwas genauer auf die Texte hört, gewinnt den Eindruck, dass das auch daher rührt, weil neben den "guten" Stimmungen eben ernste, herzzerreißende Melancholie mitschwingt: „Drink deep up the day“ deutet dies an oder auch das bewegende „Hold me back from sweet sui...“, das in seinen Gedanken um einen verführerischen Moment der Erlösung kreist.
Die „Gurdan Thomas Band“ aber hat sich in einer Weise für die Lebendigkeit entschieden, die unbedingt ansteckend ist. Sie feiert die Romantik und den Weltschmerz gleichermaßen, singt von seltenem Glück, aber auch von unerfüllten Träumen, Hass und Frust. Und als akustisches Korrektiv von allzu viel Höhenflügen platzt schon mal der „Throat“-Gesang von CD-Produzent Holm dazwischen – einfach spannend ist so was. Wenn dann noch der mit seiner Stimme so strahlende Gurdan in seinem niedlichen Deutsch davon spricht, dass er „ein bissl schuchtern“ sei, dann ist sie komplett, die Hingerissenheit der Bosco-Zuhörer. Hier wurde ein großer Fußabdruck hinterlassen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.