Nach(t)kritik
Die Welt ist schön
Veranstaltung: Jana Erb: This is not to be seen* *by future generations (Ersatztermin)Emotionen wecken und ein Bewusstsein erzeugen. Denn wir könnten etwas ändern. Jeder einzelne könnte sein Verhalten ändern. Mit ihrem Projekt „This is not to be seen* by future generations“ versteht sich die Fotografin Jana Erb als Chronistin des Klimawandels. Ihre Landschaftsaufnahmen aus Island sind so spektakulär schön, dass man – trotz oder gerade wegen des Ausstellungstitels – unweigerlich mit eigenen Augen sehen will, was sie gesehen hat. Noch schnell, bevor es zu spät ist. Gleichzeitig bedeutet jeder Reisende und jeder, der selbst durch die verletzlich-wilde Landschaft der Insel im Nordatlantik stapft, dass die bedrohte Natur noch schneller und noch weiter zerstört wird.
„Die Welt ist schön“, ruft jede einzelne Fotografie von Jana Erb. „Die Welt ist schön“, so hieß auch ein Bildband mit hundert Fotografien von Albert Renger-Patzsch, der bei seiner Veröffnetlichung im Jahr 1928 enormes Aufsehen erregte. Thomas Mann schrieb über den Fotografen, er habe „das Einzelne, Objektive, aus dem Gewoge der Erscheinungswelt erschaut, isoliert, erhoben, verschärft, bedeutsam gemacht, beseelt.“ Viele andere prominente Zeitgenossen ließen sich zu hymnischen Kommentaren hinreißen, sie feierten den „Mythos der Sachlichkeit“ und den „Realismus“, also die Unbestechlichkeit der Fotografie. Sie meinten, die Schönheit der Dinge, die in den Bildern von Renger-Patzsch sichtbar wird, sei der Beweis für ihre Zugehörigkeit zur Schöpfung – damals freilich unter Einschluss der Technik als Schöpfung des Menschen.
Wir, fast hundert Jahre später, wissen natürlich längst, dass Fotografien alles andere als objektive Abbildungen der Wirklichkeit sind. Wir wissen, dass Bilder manipuliert sind und dass sie uns manipulieren. Und nicht zuletzt wissen wir, dass die Fotografie wie kein anderes Medium geeignet ist, um Emotionen zu erzeugen. Und genau das ist nun das Dilemma, in dem sich die Outdoor-Fotografin Jana Erb befindet: Mit jeder weiteren Reportage für ein Bergsport-Magazin und mit jedem neuen Werbefoto für Outdoor-Equipment weckt sie Emotionen. Aber diese Emotionen sind eben vor allem Wünsche und Sehnsüchte. Und doch sind diese Bilder notwendig, um ein Bewusstsein für die erhaltenswerte Natur zu schaffen. Wir brauchen Fotografen, die uns zeigen, wie schön unsere Welt ist. So wie wir den Eisbären im Zoo brauchen, um uns für den Schutz der Eisbären einzusetzen, würde Jana Erb sagen.
Ihre Naturaufnahmen, auf zwei Islandreisen in den Jahren 2018 und 2019 entstanden, sind also hochpolitisch. Und dennoch verdienen sie es, als spektakulär schöne Bilder gewürdigt zu werden. Die Fotografin entdeckte ihre Motive meist nur wenige Meter abseits der üblichen Touristenrouten – einfach durch einen Perspektivenwechsel. Mit Hilfe einer Drohne fotografierte sie Flüsse und Seen, in denen sich kaltes und wärmeres Wasser mischen und dabei zusammen mit mineralischem Gestein und Sedimenten Kontraste, Schlieren und Farbexplosionen erzeugen, die in ihrer Intensität an abstrakte Gemälde von Bernd Zimmer erinnern. Andere Landschaften wirken aus der Vogelperspektive so hyperreal, als wären sie von innen heraus erleuchtet. Wasserfälle, Felsenformationen, Eisberge und Regenbogen – die Welt ist in den Bildern von Jana Erb so schön, so „erhoben, verschärft, bedeutsam gemacht, beseelt“, um mit Thomas Mann zu sprechen, dass man weinen möchte.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.