Nach(t)kritik
Die Wucht kambodschanischer Tempel-Anlagen
Veranstaltung: Index 4: Percussion QuartettIrgendwie ist alles perkussiv, sogar der Mensch und seine Körperoberfläche: Das „INDEX 4 Percussion Quartett“ lieferte den Nachweis spätestens bei der Zugabe seines fulminanten Auftritts im Gautinger „bosco“ - nach vier Jahren gastierten Leander Kaiser, Yuko Saito, Stefan Gimpel und Christopher Fellinger wieder einmal auf jener Bühne, die sie mit ihrem Instrumentarium so raumfüllend zu nutzen wissen wie kaum ein anderes Ensemble. Fürs staunende Auge war also ebenfalls einiges geboten – es drängten sich Marimbafon, Vibrafon, ein Gong, eine Kesselpauke, darauf ein umgedrehtes Becken, vier Cajones (zu perkussiven Zwecken unterschiedlich aufgemotzte Holzkisten), eine Aqua-Drum (eine Art akustischer „Wok“ aus Metall, mit einem Magneten als Stimmregler), etliche umgekehrt aufgehängte und frei schwingende Tontöpfe aus dem Baumarkt, metallene Klangrohre, Donnerbleche, Becken mit und ohne Rieselsand, herkömmliches Schlagzeug sowie jede Menge Schlegel und Drumsticks sowie vier Akteure, die sichtlich Spaß daran haben, all diese „Spielsachen“ auch anzuwenden.
Womit wir vom staunenden Auge zum parallel „staunenden“ Gehörgang kommen: „INDEX 4“ lassen über den akustischen Eindruck der Kompositionen assoziative Bilder im Kopf entstehen, zu denen Titel wie „Aqual Nordic Voyage“ oder „Top(f) Factory“ (siehe das Equipment aus der Gartenabteilung des erwähnten Baumarkts) nur den Weg weisen. So darf sich der Zuhörer mal einen Tauchgang in arktisch kaltem Wasser vorstellen, dann wieder, bei dem Marimbafon-Solostück „Onyx“ von Leander Kaiser, ein geheimnisvolles Mineralgestein. „Wenn Sie wollen, können Sie ruhig die Augen schließen“, empfiehlt Christopher Fellinger, ehe er es sich selbst mit dem Aqua-Drum meditativ sitzend bequem macht – die anderen Drei sind derweil in der Topf-Abteilung zu Gange und erzeugen im Zusammenwirken mit Fellingers „Wok“ meditativ wirkende Klangeffekte. „INDEX 4“ lassen es aber nicht nur mit diesen suggestiven, eher entspannenden Stücken bewenden, das Quartett kann auch „härter“ wie etwa bei einer Komposition, mit der Leander Kaiser der kambodschanischen Tempelanlage Angkor Wat und ihrer gewaltigen verbauten Steinmasse gerecht zu werden versuchte, als Reminiszenz an eine Reise: Minutenlang ringt hier das Marimbafon Kaisers mit dem übrigen Percussion-Trio, sprich Schönheit und Erhabenheit mit schierer Gesteinswucht.
„INDEX 4“ sind zwar noch keine „gefühlt 21 Jahre“ zusammen, wie Fellinger an einer Stelle sagt, aber sie haben sich stetig weiterentwickelt, erzählen im Grunde ganze Geschichten mit ihrem Equipment. Das Stück „Multiclock Union“ arbeitet zum Beispiel mit Handwerkerkellen, Kuckucksuhr, Wecker und dem aus Metallrohren erzeugten „Big Ben“-Geläut – man könnte meinen, dies sei eine Erinnerung an die „Brexiteers“, dass die Zeit in der „EU“ abläuft. Stilelemente aus der „Minimal Music“ lassen jedenfalls grüßen, der Baumarkt ebenfalls. Fürs Auge wiederum ist jene perkussive Jonglage-Nummer, bei der ein zunächst unsichtbares Etwas zwischen den vier Musikern zu allerlei Plopp- und Zisch-Geräuschen hin und her geschussert wird – der Mensch, ein Wesen mit Trommelfell und allerlei überraschenden Resonanzflächen. Das ist originell, für die Akteure durchaus sportiv und lockert wohltuend auf nach all der sonstigen geleisteten Präzisionsarbeit. Überhaupt ist der Subtext der ganzen „INDEX 4“-Performance, dass alles möglich scheint, dass alles auf seine physikalische Beschaffenheit hin erkundet und auf sein „Wesen“ abgeklopft werden darf. Und spätestens, wenn Yuko Saito in rasendem Japanisch alles „erklärt“, weiß man, dass das alles nicht verkopft gemeint ist, sondern sich der Suche und dem Finden rhythmischer Strukturen widmet. Spiritualiät? Christopher Fellinger sagt über eine Eigen-komposition, die er der 3000 Jahre alten Trommel-Tradition japanischer Mönche nachempfunden hat, den recht weltlichen Satz: „Zeichnet sich dadurch aus, dass man fast nackt spielt, wie die Sumo-Ringer.“ Die hätten gewiss auch einen interessanten Resonanzkörper zu bieten, doch bei der Zugabe im „bosco“ genügen diesmal auch vier normal geformte Oberschenkel und Bäuche, ein paar aufgeplusterte Backen und ein hervorragend entwickeltes Taktgefühl. Das Publikum war im besten Sinne perkussiv erschüttert, soll heißen restlos begeistert.
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