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Nach(t)kritik

Do, 16.02.2023
20.00 Uhr

Diese Stimme!

Veranstaltung: Yumi Ito & Szymon Mika: Ekual

Eine Stimme, die sich wie eine Säule im Raum aufbauen kann. Die auf schwindelnden Höhen zu wandeln vermag und dann im nächsten Moment die Möglichkeit von Tiefe andeutet. Die ebenso zerbrechlich sein kann wie kraftstrotzend: Yumi Ito gehört diese unwahrscheinliche Stimme, gebürtige Baslerin, Tochter eines japanischen Konzertpianisten und einer polnischen Mezzosopranistin, die zugleich ihre Gesangsausbilderin war. Yumi zur Seite stand beim Auftritt im bosco der bereits in jungen Jahren preisgekrönte Jazz-Gitarrist und Komponist Szymon Mika – beide zusammen bilden das Duo „Yumi und Mika“, welches sich mit seinen Arrangements auf ganz eigene Weise das vokale Jazz-Spektrum erobert. Man nehme etwa die Vorlage „I think it´s going to rain again“ von Randy Newman, deren Lyrics Yumi Ito gleich zu Beginn des Abends als vokalisierende Dehnungsübung vorführte – das Publikum staunte erst mal andächtig und beschloss insgeheim, besonders konzentriert zuzuhören, denn da wartete zweifellos Unerhörtes, das sich nach und nach in seiner Pracht entfalten sollte. Als Klettergerüst für Yumis zunächst noch wohldosierte Stimmkraft lieferte Szymon mit seiner halb akustisch genutzten E-Gitarre zart kontrastierende Handreichungen, als gelte es, einen scheuen Vogel zu locken, und es entstand sofort eine intensive, seltsam fruchtbare Spannung zwischen diesen akustischen Elementen.

Doch als Iniatial für all den Zauber war ja auch noch Text: Die bereits weit getourte Ito lässt sich von Menschen und Erlebnissen zu eigenen kompositorischen Widmungen inspirieren, wie bei dem offenbar einer brasilianischen Kämpferin für Frauenrechte zugedachten „Minha flor“ – bei diesem auf der neuen CD „Ekual“ zu hörenden Song und einigen anderen kommt zumindest live die Technik des Sampling/Looping zum Einsatz: Die eigene Stimme wird im Moment abgespeichert und als vokaler Hintergrund wiederholend zugespielt, während die „Originalstimme“ fortfährt und so die Illusion von Mehrstimmigkeit erzeugt wird. Yumis Themen und Motive kreisen um die Komplexität von Beziehungen („Float and Drift“), um das Erspüren des eigenen Ichs, um Einsamkeit und Verlorenheit, aber auch um Erleuchtendes – was in den eher sparsam greifbaren Zeilen nicht ausgedrückt werden kann, erfährt seine Differenzierung und Vielschichtigkeit über die Wandelbarkeit ihrer Stimme. Laut, leise, Joplinesk hoch und Susan Vega-mäßig versammelt wie bei „Longing“. Guttural oder fragil wispernd wie bei „Portishead“ kann die Stimme werden, ein wahres Chamäleon.

Dazu immer wieder Szymons gitarristisches Wunderwerk: Wie ein sprudelnder Bach in „Through the darkest night“, oder wie die Erdung für Itos Songzeilen in „Running“, die da lauten: Life´s too short to live someone else´s life – das Leben ist zu kurz, um das eines anderen zu führen. Die beiden Musiker, die nach eigener Auskunft kein Paar, sondern „sehr gute Freunde“ sind und genau das zu schätzen wissen, haben mit ihren Anfang 30 etwas zu sagen. Zeit ist kostbar. Und wenn es mal keine Eigenkomposition von Yumi oder Szymon ist, mit der sich was mitteilen lässt, dann kann es auch der Beatles-Klassiker „Blackbird“ sein, mit den unvergleichlichen Zeilen Blackbird singing in the dead of night / Take these broken wings and learn to fly / All your life / You were waiting for this moment to arise - Ito und Mika machen daraus ein tief empfundenes Erlebnis der Hoffnung, in neuem „Gefieder“ sozusagen, einfach nur schön.

Am Ende bedankten sich Yumi und Szymon – sie extra für das Konzert aus der Schweiz angereist, er aus Polen - bei den Gautingern, die so aufmerksam und gebannt gelauscht hatten, dass man im Saal die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können: Mit einem polnischen Lied, das nach Friedenssehnsucht klang. Die Notenblätter dafür waren bei einem Kalabrien-Urlaub nass geworden, erzählte Yumi. Und dann war da wieder diese Stimme.

Thomas Lochte, 17.02.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 16.02.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.